Ibiza wir kommen


Mit unseren letzten 3 Urlaubstagen aus diesem Jahr lassen wir den norddeutschen November hinter uns. Für 4,5 Tage tauschen wir den nasskalten Dauerregen in Norddeutschland gegen die spätherbstliche Sonne von Ibiza. Malte lebt und arbeitet dort seit fast 7 Jahren, und immer weniger lockt es ihn nach der Saison zurück in den deutschen Winter. Also fliegen wir, denn uns fällt der Tausch leichter als Malte.
Dass die Reisesaison auf den Balearen vorbei ist, merken wir nicht nur bei der Suche nach passenden Flügen. Sonnensuchende fliegen offensichtlich gleich auf die Kanaren, Flüge nach Ibiza sind noch rarer als nach Malle. Wir müssen erst nach Amsterdam, damit uns dann von dort ein Flieger nach Ibiza bringt. Zurück ist es wirklich schräg, da geht’s dann über Madrid und Amsterdam zurück ins kalte Hannover.

„Auf geht’s und Anflug auf Amsterdam.“

„Auf geht’s und Anflug auf Amsterdam.“

Von Hannover nach Amsterdam sitzen wir zwischen lauter Businessfliegern, die nicht viel mit Sonne und Urlaub im Sinn haben. Während der 3,5 Stunden Umsteigezeit in Amsterdam zeigt das niederländische Wetter, dass es dem norddeutschen Wetter in puncto Garstigkeit durchaus den Rang ablaufen kann. Schon die Landung in Amsterdam ist speziell und Astrid Fingernagelabdrücke verziehen sich nur langsam aus meinem Handrücken. Jetzt peitschen gewaltige Regenböen über das Rollfeld, auf dem die Flieger einen günstigen Moment für den Start abwarten. Astrid ist nicht besonders böse, dass wir noch nicht dran sind.

„Schlechtes Wetter in Amsterdam, Astrid wartet gerne noch etwas.“

„Schlechtes Wetter in Amsterdam, Astrid wartet gerne noch etwas.“

Langsam füllt sich der Wartebereich vor dem Gate C16. Die alte Hippi-Insel Ibiza streckt ihre Finger bis Amsterdam Schiphol aus. In die Jahre gekommene Althippies in bunten Gewändern und Pluderhosen mischen sich unter die normalen Touristen. Bunt bestickte Fairtrade-Umhängetaschen, Rasterlocken, indianisch gewebte Poncho von Louis Vuitton, peruanische Hüte von Dolce & Gabbana und indische Morgenmantel-Saris im goldgänzenden Ninja-Drachen-Style von Gucci mischen sich unter ordinäre Jeans und T-Shirts. Die Extravaganz und Farbenpracht scheint in einem direkten aber stillschweigenden Einklang zur dreidimensionalen Tiefe der Bewußtseinserkenntnis zu stehen.

„Amsterdam. Die Joga-Damen und die Senior-Dendies habe ich mit nicht getraut, so direkt zu photographieren. Aber um die Ecke sind sie ?“

„Amsterdam. Die Joga-Damen und die Senior-Dendies habe ich mit nicht getraut, so direkt zu photographieren. Aber um die Ecke sind sie ?“

Bald ist eine gewisse Dominanz von Damenreisegruppen nicht mehr zu übersehen. Zwei Peinlichkeitsprotypen der Klasse “alternder, aber unwiderstehlicher Lebemann” beginnen sofort, die 7 Joga-Damen mit persönlichkeitszentriertem XXL-Wahrnehmungsfaktor zu umkreisen. In rhythmischer Harmonie antworten die Joga-Amazonen den sonnenbraunen Dandys mit dem Five-finger-hair-shaker. Hierbei fährt die rechte oder linke Hand mit vollkommen aufgespreizten fünf Fingern sinnlich von der Stirn zum Top of the Kopp durch die Amazonen-Mähne, wobei mit Erreichen des Höhepunktes die Haare nach hinten möglichst so ausgeschüttelt werden, dass man garantiert nicht bei sich bleibt. Die Herren tun ihr Bestes, um mit dem zu antworten, was noch zum Schütteln da ist.

Bis heute war mir noch gar nicht aufgefallen, dass die aufgespreizte Fünffingerhand neben dem lasziven Amazonen-Griff nun auch als wedelnder Argumentationsverstärker in der Inter-Amazonen-Kommunikation eingesetzt wird. Das müssen sich die Dandys und Amazonen wohl von den Eminems dieser Welt abgeschaut haben, obgleich ihr professionelles Dinglisch ganz anders klingt. In jedem Fall führt das ausladende Bewußtsein zu einem ebenso ausladenden Körper-Raum-Bedürfnis, das dazu führt, dass speziell die vor Lässigkeit zerfließen Lebemänner recht ausladend große Teile benachbarter Sitze überlagern, ohne dass die Lebemannprivatsphäre auch nur im Mindesten durch die Privatsphäre der übrigen Fluggäste getrübt wird.

„Wir fliegen direkt über Malle.“

„Wir fliegen direkt über Malle.“

„Ibiza von oben. Unten rechts die Bucht von Talamanca, mit einer guten Brille kann man unser Hotel und Maltes Wohnung sehen.“

„Ibiza von oben. Unten rechts die Bucht von Talamanca, mit einer guten Brille kann man unser Hotel und Maltes Wohnung sehen.“

So komme wir schon übersättigt mit neuen Eindrücken auf Ibiza an.
Dort wartet allerdings schon der nächste Kulturschock auf uns, den wir in den nächsten 4 Tagen in vielen Darreichungsformen immer wieder verwundert beobachten können. Nur Stückchen für Stückchen ist das für uns verdaubar und ruft bis zur unserer letzten Ibiza-Minute doch immer wieder Erstaunen hervor.
Die Spanier sind tiefenentspannt. Zumindest die Ibicencos.

„Warten auf Malte… und … erstaunliche Gelassenheit unter Palmen.“

„Warten auf Malte… und … erstaunliche Gelassenheit unter Palmen.“

Vor dem Aeroporto Ibiza gibt es mehrere Spuren für Busse und Taxen, aber nur eine Spur für Privatabholende, die nicht auf dem Parkplatz parken und einfach nur so ihre Angehörigen abholen oder bringen möchten. Also eine einzige Spur für den privaten „drop off and hop on“. Wir warten auf Malte und suchen ein älteres Auto in der nicht enden wollen Schlange, dessen Ende sich irgendwo in der Kurve hinter dem Parkplatz versteckt. Dort wo die Sonne auch gerade untergeht. Jede, aber auch wirklich absolut jede Autoklasse ist hier vertreten. Oben wird diese Prozession angeführt von den allradgetriebenen Protzbrocken von Maserati & Co und in der nach unten offen Skala gerade noch fahrtüchtiger Vehikel, wird diese von einem Hippi-VW-Bus abgeschlossen, der ganz bestimmt schon die goldenen Blumenzeiten früherer Tütenraucher erlebt hat. Dazwischen findet sich alles, was der Automarkt derzeit hergibt und früher auch schon einmal hergegeben hat. Aber kein Malte.

In einträchtiger Gelassenheit stehen all diese Autos und Vehikel bunt gemischt in dieser endlosen Schlange. Einen Seitenstreifen mit Haltemöglichkeit gibt es kaum bis gar nicht. Deswegen hält einer nach dem anderen einfach auf dem Zebrastreifen zum Flughafeneingang und entlässt seine Lieben oder sammelt sie eben ein. Ganz ohne Hast, mit viel Bussi Bussi und großem Hallöchen. Wir beobachten das ganze Treiben mit zunehmender Verwunderung. Die Schar der Fahrer und Fahrerinnen ist ebenso bunt gemischt wie ihre Fahrzeuge. Keiner hetzt den anderen, jeder wartet geduldig, kein Hupen, keine Hektik, kein Garnichts, außer …. tiefe ruhige Gelassenheit. Wir sind platt, in Italien hätten wir nach wenigen Minuten schon einen irreparablen Hupkonzert-Tinitus gehabt, aber hier …. hier herrscht nichts anderes als tiefe Tiefenentspannung. Unwillkürlich suchen meine Augen nach dem Flughafenschild. Nein, wir sind wirklich auf Ibiza und Ibiza gehört zu Spanien.
Irritiert warten wir auf Malte….