Regen, Kran und Winterschlaf

Das angekündigte Wetter zu unserem Kranwochenende ließe sich nur noch durch einen Temperatursturz mit Schneeregen steigern. Der goldene Oktober verabschiedet sich pünktlich zu unserem Krantermin. Am späten Donnerstagnachmittag, rund 20 Kilometer vor HHafen, beginnt es dann auch tatsächlich zu regnen und keine Wettervorhersage macht uns auch nur die kleinste Hoffnung, dass wir dem Regen in den nächsten Tagen irgendwie entkommen können. Dauerregen beim Segeln ist ja eh nicht wirklich toll, aber zum Krantermin ist das Höchststrafe.

Obwohl die Sache mit dem Winterlager bei Weilandt in Burgstaaken ja eigentlich super ist, hat das Ganze dennoch einen kleinen Haken. Nicht nur die PINCOYA muss nach Burg, sondern auch Henry. Und da weder Astrid noch ich den anderen alleine den letzten Segelschlag machen lassen wollen, muss Henry vorher nach Burg und der Fahrer irgendwie wieder zurück nach HHafen. Da aber der öffentliche Nahverkehr in Schleswig-Holstein bei dem Rückweg keine wirklich große Hilfe ist, denn der Krantermin ist ja schließlich immer schon am nächsten Tag, bin ich im letzten Jahr mit dem Fahrrad gefahren. Es war ein toller Spätherbsttag, sonnig und warm, und die Fahrradtour hat wirklich viel Spass gemacht. Davon hatte ich Astrid so vorgeschwärmt, dass wir eigentlich dieses Jahr zusammen fahren wollten. Als dann aber langsam klar wurde, dass das Wetter zu unserem Krantermin nicht bester Laune sein würde, schlug Astrid doch vor, dass es vielleicht sinnvoller wäre, wenn sie schon mal die PINCOYA vorbereitet, während ich mal kurz Henry rüber nach Burg bringe.

Meine Vorfreude auf die Fahrradtour wird die ganze Nacht durch ein stetiges Regengeprassel befeuert. Astrid schläft tief und fest, während ich mir überlege, wann morgen wohl der erste Regen so langsam durch meine Fahrrad-Klamotten sickern wird. Schon deutlich vor der Brücke oder erst, wenn ich die Hälfte des Weges geschafft habe?

„Nasse Aussichten….“

„Nasse Aussichten….“

Es schüttet immer noch wie aus Eimern, als ich mich in meinen quietsch-gelben Regensachen auf den Weg mache. Der tropfnassen Kranmannschaft, die gerade eine Hanse aus ihrem nassen Element in das ebenso nasse Element an Land hebt, rufe ich zu: “Bestes Trainingswetter für eine kleine Fahrradtour!”. Eine Handvoll Eigner, deren Schiffe heute noch gekrant werden sollen, hat sich im Halleneingang verkrochen und beäugt ungläubig das Einheitsgrau, das sich mit einigen dunkleren Streifen von einem Horizont zum anderen erstreckt.

„… und plötzlich springt die Fehmarnsundbrücke aus den Regenschleiern.“

„… und plötzlich springt die Fehmarnsundbrücke aus den Regenschleiern.“

Es schüttet und schüttet und erst spät schälen sich die Konturen der Fehmarnsundbrücke aus den Regenschleiern. Der leichte Südwest wird mein Fahrradvergnügen noch steigern. Da weiß man dann wenigstens, woher der Regen kommt. Wenn es wirklich stimmt, dass “viel Feind viel Ehr” macht, dann wartet heute eine ganze Menge “Ehr” auf mich.

Schon nachdem ich mein Fahrrad vom Träger geholt habe, triefe ich. Der Deich am Burger Binnensee gleicht einem Kanal. Die Graswülste links und rechts verhindern das Ablaufen des Wassers, so fahre ich durch eine kilometerlange Dauerpfütze bis Wulfen und versuche abwechselnd immer nur mit einem Auge die Strecke im Visier zu behalten. Solange, bis mich dann der Volltreffer eines dicken Regentropfens vollends blind macht. Dann kommt wieder das andere Auge zum Einsatz. Meine Fahrradbrille habe ich natürlich vergessen. Ein offensichtlich ebenso blindfliegender Fischreiher kann im letzten Augenblick noch herumreißen. Ich ducke mich, um nicht von seinen riesigen Schwingen auch noch eine gescheuert zu bekommen. Der Fischreiher hat sich ebenso erschrocken wie ich, wer rechnet auch schon bei diesem Mistwetter mit Fahrradtouristen auf dem Deich?

Die Strecke habe ich mir vorher genau eingeprägt, das Handy mit der Navi-App steckt in einem Frischhaltebeutel in der Satteltasche. Ich brauche es nicht. Die Abzweigung in Wulfen ist schnell gefunden, während mir der Südwest den Regen freudig entgegen schleudert. Gut, dass die Strecke zur Brücke leicht zu finden ist, im letzten Jahr hatte ich mich verfahren und war viel zu weit nördlich herausgekommen. Zurück in HHafen hatte ich 5 Kilometer mehr auf dem Tacho, als ich auf dem Hinweg mit dem Auto gefahren war. Dieses Jahr ist es leichter, ich habe mir die Strecke noch einmal genau angesehen und die Ecke gefunden, wo ich damals falsch abgebogen war. Nach einer kleinen Steigung trifft mich der Südwest ungebremst auf der Steilküste von vorn.

Der Weg wird schmaler und verendet auf einem Stückchen Wiese direkt am Strand. Die Wellen plätschern lustig an den Sandstrand, hier muss es im Sommer richtig hübsch sein. Das Vorderrad steckt fest, ein triefnasses Kaninchen knallt bei seiner Flucht fast mit seinem niedlichen Kopf gegen einen Zaunpfahl und an meinem Rücken läuft nun ein dünnes Regenrinnsal herunter und versickert irgendwo zwischen T-Shirt und Unterhose. Schön! – Mit einem Auge versuche ich, den Weg dort zu finden, wo es keinen mehr gibt. Noch ein kleines Stückchen Rasen. Hier kann man im Sommer bestimmt ganz wunderbar in der Sonne liegen. Auch das Hintergrad steckt nun im Sand fest, ich muss schieben. Nur nicht zurück, zurück bedeutet aufgeben. Ein echter Fahrradrecke blickt immer nach vorn. Ziele sind ja auch immer nur vorn, nie hinten.

Die Scheibenbremsen machen ein Geräusch, dass man von Scheibenbremsen gar nicht so gerne hören möchte. Ich blinzle gegen den Regen, weiter hinten sieht’s gut aus. – Soweit man das erkennen kann. Ein Campingplatz, das würde zu meiner Karte im Kopf passen. Dort muss es eine Strasse geben, wie sonst sollen dort Wohnanhänger hinkommen.

Die Pfützen sind tiefer als gedacht, frisch vom Feld herunter gespülter Mutterboden sickert schlammig in meinen Schuh. Auch egal, ist ja nur der rechte. Der linke ist noch ok, nur randvoll mit Regenwasser – und etwas Sandstrand. Tapfer schiebe ich mein erbärmlich knirschendes Rad auf dem „Feldweg der Hoffnung“ in Richtung Campingplatz. Das Wiehern der beiden Gäule hört sich an wie hämisches Lachen. Die beiden feigen Zossen stehen unter einem Unterstand. Stumm rufe ich den beiden zu: „Hier! Seht her! So trotzt man den Urgewalten der Natur, ihr elenden Weicheier.“ In den ersten Ausläufern des Campingplatzes geht der neu erwachte Feldweg in eine Schotterpiste über.

„Die Martins Werft kurz vor der Brücke.“

„Die Martins Werft kurz vor der Brücke.“

Ich kann wieder fahren und versuche wegzuhören. Dies Quietschen und Schaben der Bremsen ist furchtbar. Sand und Scheibenbremsen vertragen sich ganz offensichtlich nicht wirklich gut. Auch in der Kette kracht und knirscht der Sand. An der Schranke des Campingplatzes geht der Schotterweg in eine asphaltierte Strasse über. Die Brücke liegt nun direkt voraus. Rechts und links an meiner Hüfte scheint meine Unterhose noch trocken zu sein, der Rest innen ist ebenso nass, wie das Außen um mich herum.

Kurz vor der Martins-Werft pumpt die Abwasserentworgung von Fehmarn die Sickergruben der Wochenendhäuser aus. Das stinkt erbärmlich! Es schüttet immer noch wie aus Eimern, aber der Sickergrubenauspumpmann ruft mir ein so fröhlich-frisches „Guten-Morgen“ herüber, dass er hier unbedingt als Highlight dieser Fahrradtour erwähnt werden muss.

Kurz vor der Brücke biege ich auf die Martins-Werft ab, schnappe mir den Schlauch am Steg und spüle die Bremsen und den Rest meines Rads. Nun geht es wieder und ich trete mich hoch zur Brücke. Auf der Brücke lässt der Regen etwas nach und in der Abfahrt verliert der Südwest gegen das leichte Gefälle der Brückenabfahrt. Geht doch!

Tapfer trete ich mich zurück bis HHafen, wo Astrid und vor allem eine heiße Dusche auf mich warten.

„Weit und breit nass und grau!“

„Weit und breit nass und grau!“

„Zurück! Erstmal alles richtig spülen.“

„Zurück! Erstmal alles richtig spülen.“

In der Zwischenzeit hat Astrid die PINCOYA schon abfahrbereit gemacht. Der Regen hat nachgelassen, aber alles tropft und trieft noch. Erstmal lege ich mich trocken und schlürfe eine heiße Tasse Tee. Nach einer langen, heißen Dusche und einem Frühstück geht’s dann los.

HHafen -> Burgstaaken Start: 12:15 Ende: 14:50 Wind: SW 10 kn Distanz: 10,2 sm Gesamtdistanz: 10,2 sm

„HHafen / Ortmühle -> Burgstaaken“

„HHafen / Ortmühle -> Burgstaaken“

Wir nehmen uns die Zeit zum Segeln. So können die Segel wenigstens noch etwas abtropfen, auch wenn sie nicht mehr richtig trocken werden können, etwas feucht ist allemal besser als triefnass. Heute sind wir wirklich die einzigen und wohl auch letzten Segler. Außer uns sind nur noch einige Angler unterwegs und natürlich die Küstenwache und die Wasserschutzpolizei. Eine besser bewachte Küste als die vor Heiligenhafen ist in der Ostsee wohl nur schwerlich zu finden. Irgendwann werden auch wir herausbekommen, was hier verborgen wird und was es mit diesem Überaufgebot von Polizei, Wasserschutz und Zoll zu schützen gilt.

„Unsere leere Heimatbox, erst 2016 werden wir wieder zurück sein.“

„Unsere leere Heimatbox, erst 2016 werden wir wieder zurück sein.“

In Burgstaaken angekommen, machen wir uns gleich daran, alles für das Kranen und das Winterlager vorzubereiten. Mit unseren Arbeitslisten geht das schnell und ohne viel hin und her. Völlig erstaunt können wir die Segel sogar in einer Regenpause herunternehmen. Das macht sie zwar nicht viel trockener, aber für uns ist das super.

„Und schwupps steht sie schon an Land.“

„Und schwupps steht sie schon an Land.“

Gleich früh am Samstag geht’s unter den Kran und ruckzuck stehen wir auch schon auf dem Waschplatz vor der Halle. Hier können wir alles ganz in Ruhe und genau so fertig machen, wie wir es wollen. Kein Stress, kein Gedrängel, keine Hektik. Das passt gut für uns, denn es gibt uns die Zeit, die wir brauchen, um die PINCOYA auch wirklich für das Winterlager fit zu machen. Etwas mehr Arbeit beim Einwintern spart viel viel Arbeit im Frühjahr.

„Bereit für den Winterschlaf.“

„Bereit für den Winterschlaf.“

Dann ist es soweit. Die PINCOYA verschwindet zum Winterschlaf in der Halle und wir fahren zurück.

Zuhause erweist sich unser Umzug in die Villa Minimo gleich als Glücksfall des Jahres. Schon in Henrys Kofferraum fließt ein kleines Rinnsal aus den Segelsäcken über die vorsorglich ausgebreitete Gummimatte. Gott sei Dank haben wir nun einen Dachboden und können dort die Segel und Persennige zum Trocknen aufhängen. Was wir dieses Jahr ohne den Dachboden gemacht hätten, weiß ich nicht. Ein echter Glücksfall.

„Unser Trockenboden.“

„Unser Trockenboden.“

Und nun ist die Saison 2015 wirklich zu Ende. Unsere Segelsaison war dieses Jahre 947,5 sm lang. Davon 579,4 sm unter Segeln und 368,1 sm unter Motor. Sie startete am 27.03.2015 und war am 07.11.2015 schon wieder zu Ende. Die Unterteilung der Saison in 2 längere Törns hat uns gefallen und deswegen werden wir das in 2016 auch wieder so machen. Einen Urlaubstörn und einen Powersegeltörn mit langen Non-Stop-Etappen. Mal sehen, wo es uns im nächsten Jahr hinführt.

Und hier macht die PINCOYA nun ihren Winterschlaf in der Halle bei Weilandt.
54° 25′ 20.179″ N 11° 11′ 13.639″ E