Ein ungeplant langes Ende


Kalmar -> Simrishamn Distanz: 142,7 sm Gesamtdistanz: 3.496,6 sm

„von Kalmar -> nach Simrishamn“

„von Kalmar -> nach Simrishamn“

Obwohl wir ja gestern erst spätabends in Kalmar angekommen sind, soll es oder besser muss es heute schon gleich weitergehen. Die 6-Tage-Vorhersage hat nur noch einen Süd, Südwest oder West im Angebot und zu allem Überfluss machen sich auch über dem Atlantik schon einige Herbststürme startklar. Wenn man die Strecke von Kalmar bis Bremerhaven freundlich abschätzt, dann liegen noch rund 400 sm vor uns. Müssen wir jedoch das ganze Ende kreuzen, wonach es ja aussieht, wenn man ehrlich ist, dann haben wir noch mindestens 600 sm vor uns. 600 Seemeilen für die 14 Tage, die uns noch bleiben. Das Wetter hätte es uns auch leichter machen können. Deswegen müssen wir auch gleich aus Kalmar weiter, denn für die kommende Nacht lockt auch die Aussicht, dass der Wind für einige Stunden mal kurz auf Westnordwest dreht.

„Hafenausfahrt von Kalmar, oben der Yachthafen im Gegenlicht….“

„Hafenausfahrt von Kalmar, oben der Yachthafen im Gegenlicht….“

Eigentlich wollten wir in Kalmar etwas verschnaufen, aber das Verschnaufen erschöpft sich nun in einer langen, heißen Dusche, einem kurzen Besuch des Schlosses, einem Mittagsschläfchen als »Vorschuss« auf die kommende Nacht und dem Einkauf von etwas Proviant, denn wer weiß, wo wir landen. Um 16:30 machen wir alles seeklar, bunkern noch einmal Wasser und dann geht’s los.

„Kalmar aus zwei Perspektiven“

„Kalmar aus zwei Perspektiven“

Gegen 18:00 soll im Kalmarsund eigentlich schon etwas von dem kleinen Nord in dem großen West zu spüren sein. Aber leider ist davon rein gar nichts zu merken. Es ist eher umgekehrt und der etwas zu südliche West macht es uns schwer einen guten Kurs zu halten. So knirschen wir uns hoch am Wind nur mehr oder weniger passend in Richtung Süden voran.

„Die Wahrzeichen von Kalmar. Die Kalmarsund-Brücke und das Schloss“

„Die Wahrzeichen von Kalmar. Die Kalmarsund-Brücke und das Schloss“

Wir müssen zugeben, dass sich für uns der Spaßfaktor am Fahrtensegeln nicht zu ungeahnten Höhenflügen aufschwingt, wenn es hoch am Wind gegen Welle und Strom gegenan geht. Und wenn sich das dann alles noch zu einer Nachtfahrt bei 10°C mit einem zickigen wahren Wind zwischen 10 – 17 kn zusammenfindet, fühlt sich unser Spaßfaktor definitiv noch ein klitzekleines bisschen kleiner an. Denn hoch am Wind schwingt sich nur der scheinbare Wind zu neuen Höhenflügen auf und läßt die kuscheligen 10°C noch viel kälter erscheinen, als sie sich eigentlich anhören. Und für all die Leser und Leserinnen (Hallo Christiane! ?), die nun überhaupt nicht wissen, was ein wahrer Wind und was ein scheinbarer ist und was das alles dann so zu bedeuten hat, die stellen sich einfach mal vor in einem Kühlschrank sitzend Achterbahn zu fahren und nicht zu sehen, wann die nächste Kurve kommt.

„Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Irgendwie sehen die beiden sich diesmal ziemlich ähnlich.?“

„Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Irgendwie sehen die beiden sich diesmal ziemlich ähnlich.?“

Und der Wind ist zickig. Ein ums andere Mal reffen wir ein, um dann wieder auszureffen. Der Strom und die Wellen sind zu kräftig, um darauf zu verzichten, einfach gerefft die langsamere Fahrt in Kauf zu nehmen. Knickt der Wind ein, müssen wir ausreffen, sonst stehen wir, und legt er zu, müssen wir einreffen, denn bei 20 kn scheinbarem Wind können wir hoch am Wind nicht mehr alles Tuch stehen lassen.

So treibt der Wind ein böses Spiel mit uns und nimmt der Freiwache auch gleich noch den Schlaf, denn Reffaktionen machen wir grundsätzlich zusammen. Da ich das Nachtfahrt-Ching-Chang-Chong gewonnen habe, hat Astrid die ersten 3 Stunden Wache. Ich kriege aber trotzdem kaum ein Auge zu. Zu Astrid Freiwache wird es zwar etwas ruhiger und der Wind dreht tatsächlich ein kleines Stückchen nach rechts, aber Astrid bekommt auch nicht viel mehr Schlaf, weil wir langsam wieder alles ausreffen müssen.

Den Kreuzschlag zwischen Utlangan und Utklippan machen wir dann zusammen. Im Stockfinsteren gucken wir bei solchen Passagen lieber beide. Die Fähren von und nach Karlskrona drängeln uns an den Rand und wir müssen sie durchlassen, bevor wir wenden können. Unser Nachtwachenrhythmus ist inzwischen ziemlich durcheinander und hinter Utklippan versuche erst einmal ich wieder etwas Schlaf zu bekommen. Inzwischen ist es 3:00, der Sternenhimmel ist überwältigend. Wie immer, wenn ich schlafen will, frischt der Wind allerdings gleich wieder stark auf. Zusätzlich dreht er zurück auf West. So krachen wir mit bis zu 7 Knoten immer wieder in die genau gegenan einlaufenden Wellen. Bei jedem Schlag tut einem die PINCOYA leid, an Schlaf ist kaum zu denken, aber wir müssen erst einmal wieder etwas weiter rauskommen. Also wieder einreffen und durch. Erst die Genua, dann auch das Groß.

Es ist ungemütlich, ruppig und häßlich. Kein Kurs zum Schlafen, ich bleibe auf. Langsam dreht der Wind noch weiter zurück, also Wende. Erst Kurs Bornholm, dann Kurs Karlskrona. Das ist beides nicht ganz unsere Zielrichtung, aber auf dem nordwestlichen Kurs ist es schon mal viel ruhiger als auf dem südlichen Kurs, denn dort laufen die Wellen nun schräg ein. Nun bekommt Astrid mal eine Mütze Schlaf, das ist gut so. Insgesamt wird es langsam auch wieder etwas ruhiger. Kurz nach Sonnenaufgang schläft der Wind allerdings fast ganz ein. Fünf Knoten Wind und eine alte Schwabbelwelle passen nicht zusammen. Was nun?

„Die einzigen, die wir mitten auf der Hanö-Bucht treffen, ist einen Schwanenfamilie. Was die hier machen, ist uns ein Rätsel.“

„Die einzigen, die wir mitten auf der Hanö-Bucht treffen, ist einen Schwanenfamilie. Was die hier machen, ist uns ein Rätsel.“

Wir holen neues Wetter. Von einer Flaute ist da nichts zu sehen, aber unsere Gesamtsituation hat sich nicht eben verbessert. Dachten wir bis zum neuen Wetterbericht noch daran, irgendwo in den Schären vor Karlskrona den Anker zu werfen und auf Wind zu warten, wissen wir nun, dass wir jede auch noch so kleine Brise nutzen müssen, nun in Richtung Heimat voranzukommen. Nach der neuen Vorhersage wird am Mittwoch (heute ist Sonntag) wohl unser vorerst letzter Segeltag sein, dann müssen wir erst einmal mindestens 2 Sturmtiefs durchlassen.

Zwanzig Minuten fahren wir unter Motor in Richtung Simrishamn, dann kommt der Wind zurück. Der passt zwar immer noch nicht für einen Kurs nach Simrishamn, aber wir fahren moderat und sogar die Wellen haben ihre Richtung etwas geändert, so dass wir sie nicht mehr genau von vorn haben. Kurz vor der Hauptverkehrsroute der Großschifffahrt legen wir um und lassen es in die Hanö-Bucht laufen. Tief in der Hanö-Bucht müssen wir dann irgendwann doch mal wieder auf den anderen Bug gehen, um etwas Süd zu machen. Allerdings kommen uns nun die Wellen auch wieder direkt entgegen, denn sie laufen in einem schönen Bogen um die Huk Sandhammaren südlich von Simrishamn herum. Immer wieder kracht die PINCOYA so in die Wellen, das jeder Schlag das ganze Schiff erzittern läßt. Lange halten wir das nicht durch und gehen mit dem nächsten Winddreher direkt unter die Küste in die Abdeckung. Hier werfen wir den Motor an, unser sportlicher Segelehrgeiz ist für heute aufgebraucht und so fahren wir die letzten 5 Seemeilen bis Simrishamn unter Motor.

„Und schon wieder dämmert es und wir fahren in die nächste Nacht.“

„Und schon wieder dämmert es und wir fahren in die nächste Nacht.“

Simrishamn ist schon bei Tag kein Traumhafen, aber bei Nacht ist die Einfahrt schlicht und ergreifend blöd. Um 21:30 machen wir im Yachthafen fest und wissen, dass wir gleich morgen früh weiter müssen, denn vom Atlantik drängeln die ersten herbstlichen Sturmtiefs herüber. Noch ist es hier mehr oder weniger ruhig, aber die ruhigen Tage sind gezählt.


Stationen:

15.09. Kalmar -> Simrishamn 142,7 sm: 55° 33′ 35,6″ N, 14° 21′ 16,8“ E