Per Hand nach Le Havre


Dieppe -> Le Havre Start: 11:00 Ende: 20:15 Wind: N – NE 15 – 19 kn Distanz: 59,9 sm Gesamtdistanz: 614,5 sm

„von Dieppe -> nach Le Havre“

„von Dieppe -> nach Le Havre“

Nach einer länglichen Hin- und Herrechnerei haben wir uns für 11:00 als Startzeit entschieden. Beim Cap D’Antifer, das liegt etwas nördlich von Le Havre, dort wo die Küste nach Süden einen Knick macht, müssen wir wieder einmal den Strom-mit richtig erwischen. Zurzeit ist das noch etwas wichtiger als sonst, denn es ist Springzeit und da zeigt der Strom mal richtig, was er so kann. Direkt an der Küste sind es gut 2 kn und etwas weiter draußen können es auch durchaus mal 3 oder mehr sein. Da der Wind nicht allzu üppig ausfallen soll, kann uns das schon ziemlich ausbremsen, wenn wir nicht zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sind.
Von Dieppe bis zum Cap sind es runde 40 sm, da wir gegen die auflaufende Tide fahren, haben wir in dieser Richtung nur max. 5 Stunden »Strom-mit«. Die kalkulieren wir im Schnitt mit 7 kn, was 35 sm macht. Da wir nicht knapp auf knirsch zum Kentern des Stroms am Cap sein wollen, gönnen wir uns 2 Stunden Puffer. Also nicht 21:00, sondern 19:00 am Cap. Das verringert aber unsere Strecke mit Strom-mit auf rund 20 sm und verlängert die Strecke gegen den Strom ab Dieppe um gut 15 sm. D.h. wir kalkulieren eine Strecke von 15 + 5 = 20 sm mit Strom »gegenan« und die mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 4,5 kn, d.h. runde also 5 Stunden. 5 + 3 = 8 und 19 – 8 = 11 und schon haben wir unsere Startzeit.

Vor Le Havre kommt zwar noch Fécamp, aber die Einfahrt und der Hafen ist flach, besonders zur Springzeit, da möchten wir nicht gerade bei Niedrigwasser rein und auch eigentlich sowieso gar nicht, weil wir in Le Havre schon mal die Mietwagenlage für unsere Heimattour gepeilt haben. Aber eine Alternative ist ja immer gut.
Weil im Hafen von Dieppe heute morgen alle Fahnen irgendwie schlapp herunterhängen, ärgern wir uns fast, nicht gestern schon gefahren zu sein, als es noch richtig geblasen hat. Hoffentlich wird das heute nicht so ein Gedümpel und wir müssen am Ende wegen nullkommanull Wind doch in Fécamp abbrechen. Doch aus unserem Hafenkeller ist das schwer zu beurteilen. Das Wasser läuft erst langsam wieder auf und wir sitzen noch fast ganz unten. Was draußen wirklich los ist, ist schwer zu sagen, das hatten wir ja auch in Nieuwpoort schon so.

„Dieppe liegt hinter uns. Ein hübsches Städtchen.“

„Dieppe liegt hinter uns. Ein hübsches Städtchen.“

Als wir gegen 11:00 aufbrechen, hat der Wind allerdings schon etwas zugelegt. Zwischen den Hafenmolen erwartet uns ein unglaubliches Wellenchaos, was sich allerdings etwas weiter draußen schnell auf eine Hauptrichtung einigen kann. Doch es bleibt ruppig. Der Strom läuft gegen den Wind und beide sind nicht gerade schwächlich. Da wir das Groß schon im Vorhafen gesetzt haben, sind wir schnell auf Kurs und können sogar die Genua im ersten Reff dazu nehmen. Trotz Strom gegenan rauschen wir mit 5 1/2 kn dahin. Toll! Blauer Himmel, Wind genau richtig und ab geht die Post.

Aber das schöne Spiel ist schon nach 2 sm aus. Plötzlich läuft die PINCOYA völlig unvermittelt aus dem Ruder und schießt in den Wind. Auf dem Display blinkt »No rudder response«. Sekunden später haben wir den Autopiloten abgestellt und nach ein zwei harten Schlägen ist die PINCOYA wieder eingefangen und wir sind zurück auf Kurs. Hm – da hat sich wohl irgendetwas in der Datenverarbeitung verschluckt. Also Autopilot wieder rein, aber sofort wieder dasselbe Spiel. Hm hm – Netzwerk neu gebootet, Autopilot an und zack liegen wir schon wieder quer und alles läuft aus dem Ruder. Mist! Wir checken das Netzwerk, aber dort sind keine Fehlermeldungen zu finden. Astrid steuert von Hand, während ich mich daran mache, die Backskisten wenigstens halb auszuräumen, um auf die Suche nach dem Fehler zu gehen. Man gut, dass wir alles selbst zusammengebaut haben, da gibt es keine lange Sucherei. Dem Autopilotcomputer geht es gut. Alles grün. Nur der Schiffsjungen kann nicht allzu lange Kopf über in der Backskiste stecken, dann wird der nämlich auch grün und wenn der Schiffsjunge grün ist, dann geht es ihm gar nicht mehr gut.
Wind und Wellen tun alles, um es Astrid schwer zu machen, etwas Ruhe im Schiff zu halten, damit ich mich irgendwo über Kopf reinstürzen kann. Aber nirgendwo finde ich auch nur den kleinsten Fehler, der das Verhalten erklären könnte. Am Ende bleiben als Fehlerkandidaten nur noch die Hydraulikpumpe selbst und der Zylinder, aber den wirklichen Übeltäter der beiden können wir hier draußen nicht identifizieren. So steuern wir von Hand.

„Türkiswassersegeln!“

„Türkiswassersegeln!“

Das ist nervig, denn uns ist das bequeme Segeln mit Autopilot in Fleisch und Blut übergegangen. Jetzt merken wir, wie komfortabel und entspannt ein Autopilot das Segeln und vor allem die Navigation macht. Der Bursche fährt einfach geradeaus und man selbst kann sich ganz wunderbar um alles andere und besonders das wirklich Wichtige kümmern. Und wenn es dann noch so ein toller Segeltag ist wie heute, dann könnte man auch mal einfach in der Sonne dösen oder etwas lesen. Aber nichts! Einer von uns muss nun die ganze Zeit am Ruder stehen und das nervt. Astrid ist beim Rudergehen viel besser als ich. Das liegt wohl an ihrer Geduld und Ruhe. Mich macht das Rudergehen immer kribbelig, weil ich es nicht mag, permanent irgendwie rumzurudern. Immer wieder denke ich mir neue Dinge aus, die einen Autopiloten ersetzen könnten, aber immer wieder verpufft der vermeintliche Erfolg schon nach wenigen hundert Metern. Dann wieder konzentriere ich mich auf irgendetwas anderes und verliere nach einigen Minuten schon wieder unseren Kurs. Es ist zum Mäusemelken! Ich bin zum Rudergehen nicht geschaffen!!! Ich merke, dass Astrid das nervt und sie wegen meiner Schlangenlinienfahrt kribbelig wird. Tapfer halten ich und natürlich auch Astrid noch einen Anstandsmoment durch, dann wird der Schiffsjunge schon wieder am Ruder abgelöst. Zugegeben, Astrid trägt die Hauptlast der nervigen Steuerei, aber ich habe auch ein schlechtes Gewissen ?.

„Wir steuern an der Kreideküste entlang“

„Wir steuern an der Kreideküste entlang“

Aber wenn man mal von all diesen Schwierigkeiten absieht, kann unser Segeltag nicht fantastischer sein. Wir rauschen nur so dahin. Da der Wind, anders als angekündigt, etwas mehr aus Nord kommt, können wir auch das Vorsegel dazunehmen und machen richtig Späne. Am kräftigsten ist der Wind während der Phase, in der der Strom gegen uns läuft. Als der Wind dann etwas nachläßt, kentert auch der Strom. Günstiger kann es nicht laufen. In rekordverdächtiger Zeit sind wir vor Le Havre. Und dort gönnen wir uns noch mal kurz einen Blick in den geographischen Westen. Das ist albern, muss aber sein, denn dort waren wir noch nie mit der PINCOYA. Premiere! Dieser eine kurze Abstecher musste schon mal sein, auch wenn wir wohl die nächsten 2 bis 3 Jahre im geographischen Westen bleiben werden.

„Ein kurzer Blick in den Westen.“

„Ein kurzer Blick in den Westen.“

„Vor Le Havre ist noch einiges los.“

„Vor Le Havre ist noch einiges los.“

„Kurz vorm Niedrigwasser sind wir da.“

„Kurz vorm Niedrigwasser sind wir da.“

Nach nur 9 Sunden und 15 Minuten inklusive Ab- und Anleger sind wir in Le Havre schon wieder fest, dabei hatten wir schon befürchtet, erst im Dunkeln anzukommen.
Das sind bei 8 1/2 Stunden echter Fahrzeit sagenhafte 7,0 Knoten im Schnitt! Was für ein Ritt! Besser kann es kaum laufen, … wenn da nicht noch der defekte Autopiloten wäre.

Und den knöpfe ich mir gleich am Abend noch vor. So etwas lässt mir keine Ruhe. Und auch noch am Abend schreibe ich eine Mail an Herrn Steiner von der Lecomble & Schmitt-Vertretung bei Hamburg und schildere ihm meinen Verdacht, dass der Zylinder, den wir vor nur 2 Jahren bei ihm als Ersatzteil gekauft haben, schon wieder hin ist. Eine Antwort kommt prompt und wir verabreden uns auf ein Telefonat am nächsten Morgen um 9:00. Nachdem er mir die »Innereien« des Zylinders erklärt hat und ich ihm noch einmal die Symptome geschildert habe, schließt sich der Zylinder als Übertäter eigentlich aus. Bleibt die Hydraulikpumpe und wir besprechen eine Testabfolge, wie ich die Pumpe in einem Indizienprozess der Täterschaft überführen kann.

„Abendstimmung in Le Havre“

„Abendstimmung in Le Havre“

Gleich nach dem Telefonat wühle ich mich immer tiefer in unsere hintere Backskiste hinein und demontiere all das, was ich eigentlich nie wieder demontieren wollte. Nachdem ich wieder verstanden habe, was wir damals zusammengeschraubt haben, gehen wir wie geplant vor und tatsächlich ist das eine Rückschlagventil der Pumpe defekt, was dazu führt, dass in der Gegenrichtung kein Druck aufgebaut werden kann, weil die Pumpe nun sozusagen ihren eigenen Bypass bildet. Der Täter ist gefunden und überführt.
Die Hydraulikpumpe ist in der Tat neben der Frischwasserpumpe und dem Motor, das einzige Teil, was noch echt alt ist. 24 Jahre hat sie auf dem Buckel, da kann man nicht böse sein. Aber ärgerlich ist es doch, weil Ersatz nicht wirklich billig ist. Für 640 € bestellen wir noch am Freitag bei Enßlin eine Ersatzpumpe von Simrad. Herr Enßlin konnte uns bisher bei allen Navigationselektronikproblemen helfen und eine Pumpe hat er nun auch für uns am Lager. Und die wird gleich nächste Woche an Maren geschickt. Man gut, dass das alles jetzt hier und heute passiert. So können wir alles bei unserer Heimattour einsammeln und mitnehmen. Und meine Hydraulikreparaturkiste aus dem Bastelkeller kommt dann auch noch gleich mit, sicher ist sicher.
Insgesamt ist das alles zwar sehr ärgerlich, aber am Ende ist es so immer noch der beste Zeitpunkt.
Und was sagt der Engländer neben uns: »Circumnavigation is fixing boats at nice places!” Dann man mal los, hier in Le Havre liegen wir gut, das hätte uns schlimmer treffen können.

in Le Havre (F)
49° 29′ 18,2″ N, 000° 05′ 36,0″ E