Raus und los


Als ich diesen Blog beginne zu schreiben, sitzen wir in der einfachen Bar unseres Hotels in Gijón. Die PINCOYA steht inzwischen schon hoch und trocken und wir müssen morgen und übermorgen nur noch alles fertig machen, damit sie die nächsten Monate ohne uns gut übersteht. Eigentlich wollten wir heute Abend etwas essen gehen, aber es ist Ende November und somit die absoluteste Nachsaison, die man sich in Gijón nur vorstellen kann. 80% aller Restaurants haben mit dem Hinweis geschlossen, dass sie ganz bestimmt ab Mitte Dezember wieder zurück sind und die restlichen 20% heizen erst ab 20:00 wieder ihre Küche an. Bis dahin bekommt man manchmal etwas zu trinken, wenn denn überhaupt schon geöffnet ist. So ist das in dem siesta-beruhigten Spanien, da geht das Leben erst so spät wieder los, dass der Hungertod gute Chancen hat, einen verzweifelten Norddeutschen noch vor der verschlossenen Restauranttür dahinzuraffen. So taumeln wir ab kurz vor sechs eine Stunde lang halb verhungert durch die Gassen von Gijón und unsere Mägen knurren wie der auspufflose Zweitakter einer 70er-Jahre Vespa.

Es sind noch 2 Stunden bis zu einer rettenden Mahlzeit! Vollkommen frustriert und ausgehungert schleppen wir uns zurück ins Hotel und bestellen uns an der Bar wenigstens noch ein halbwegs sättigendes Bier. Was aber dann passiert, ist der Abendbrotoberhammer. Wir bekommen nicht nur Chips zusammen mit den zwei Bier, sondern auch noch sechs kleine Schnittchen!!! Für jeden drei und dazu noch Chips. Der Hammer! Nahezu ein Zweigänge-Menu. Großzügig überlasse ich Astrid 4 der 6 Schnittchen und bestelle mir noch ein Bier. Aber Bier heißt hier auch Schnittchen, also kommen noch einmal 6 Schnittchen, denn wir sehen wohl recht ausgehungert aus, da sieht die Bedienung mal von der »1 Bier = 3 Schnittchen«-Regel ab. So kann es weitergehen! Astrid ist nun auch bereit für ihr nächstes Bier und ich nehme auch noch eins. Die Rechnung geht auf, 2 Bier, 6 Schnittchen. Passt doch! 3x 6 Schnittchen macht schon 18! Und dann kommt die feenhafte Bardame unserer Rettung noch mit zwei kleinen Schälchen Kartoffeln in Schinkensahnesoße. Hmm, für jeden eins! Super! Aber ein Bier nehmen wir noch. Das bedeutet noch einmal 6 Schnittchen und als Extra 2 Spießchen mit Tortilla auf geröstetem Pane. 24 Schnittchen, 2 Schälchen, 2 Spießchen und jedes Mal Chips … so langsam sind wir satt, noch ein Bier würde ja gehen, aber wir haben keine Ahnung, wie wir die Schnittchenflut und die Extras eindämmen können. Aber der Abend ist gerettet!


„Hier haben wir nun einen Monat lang gelegen.“

„Hier haben wir nun einen Monat lang gelegen.“

An dem Morgen, der dem Schnittchenabend vorausgegangen ist, gibt eine verschüchterte Sonne alles, um die Nacht vergessen zu machen. Was für ein Glück, wir hatten doch schon Bedenken, ob das heute alles so klappen wird.
Von jetzt auf gleich hatte es am Abend begonnen zu hämmern. Die Wind sprang innerhalb von 5 Minuten von 6 auf über 30 Knoten und schmückte sich mit einigen kräftigen 40er Böen. Gijón im November ist schon so eine Sache und immer für ein kleines Unwetterchen gut. Bei diesem Wind kam dann eine Franzose mit seiner POGO 1200 rein und hat sich beim Anlegen gleich mal zwei Klampen aus dem Laminat gerissen. Da fordert dann eine extreme Leichtbauweise doch ihren Tribut. Die ganze Nacht blies und schaukelte es dann wie blöde und wir sahen unseren Krantermin schon in den Wellen verschwinden. Denn der Hafen von Gijón ist ja unruhig und wellig und Gaspar von der Astur Nautica hat uns gleich gesagt, dass sie nur kranen können, wenn’s einigermaßen ruhig ist.

Aber am Vormittag beruhigt sich die ganze Geschichte zusehends und gegen 12:00 kommt der Chat von Gaspar, dass wir um 13:00 raus können. Die Wellen halten sich in Grenzen und nur einige kräftige Böen sorgen im Hafen noch für etwas Unruhe. Doch um 10:50 war auch gerade Niedrigwasser und es ist ein beliebtes Spielchen der ein- und auslaufenden Gezeiten, vermeintlich einfache Hafenmanöver gründlich zu versauen. Deswegen sind wir vorsichtiger, als es das Wetter eigentlich erfordert.

„Raus geht's.“

„Raus geht's.“

Nach unserer letzten Duschfahrt stauen wir das Dinghy auf dem Vorschiff und verzurren es provisorisch. Wir sind fertig und nutzen eine kleine Böenpause, um zur Werft zu fahren. Wie in eine Schleuse fahren wir in das Becken für den Travellift. Zwei Stunden nach Niedrigwasser sind wir noch ziemlich weit unten. Ohne viel Leinenarbeit bremst man uns mit den vorderen Gurt auf und schon sitzt auch der zweite und es geht hoch. Aber mit unserem Genuastag passt es nicht. Es fehlen noch gut 2,5 m, die wir höher gehoben werden müssten, aber das Genuastag ist im Weg. Rückwärts in den Travellift ist bei uns auch keine Alternative, da ist der Geräteträger mit dem Radar und dem Windrad dann im Weg. Also muss das Vorstag ab. Mist, das hatten wir gerade vor einer Woche sooooo schön eingestellt. Aber was hilft’s, wenn wir raus wollen, muss es weg. Aber da wir uns ja vor einer Woche mit der Technik angefreundet haben, ist es auch schnell wieder gelöst. Das Spifall sichert den Mast für alle Fälle, während wir das Vorstag nach hinten wegbinden.

„Das Unterwasserschiff sieht besser aus als erwartet, der Bewuchs ist nur direkt an der Wasserlinie etwas stärker.“

„Das Unterwasserschiff sieht besser aus als erwartet, der Bewuchs ist nur direkt an der Wasserlinie etwas stärker.“

Danach springen wir ebenerdig von Bord und die PINCOYA wird abgespritzt und auf ihre Böcke verfrachtet. Das geht in Spanien alles etwas anders als in Deutschland und läuft nicht ohne viel Diskussion und Hin und Her ab. Aber die Jungs von der Werft machen das wirklich gut und die Böcke sind auch solide. Da haben wir schon ganz andere Aufbockmethoden in Frankreich und Spanien gesehen. Immer wieder fragen sie uns, ob wir so zufrieden sind. Wir peilen zusammen mit den Werftleuten, ob die PINCOYA gerade und gut steht. Als wir uns noch einen zweiten Klotz unter dem Kiel wünschen, wird sofort einer geholt und alles neu ausgerichtet. So passt das, macht uns insgesamt wirklich ein gutes Gefühl und gibt uns Vertrauen, denn schließlich lassen wir die PINCOYA das erste Mal so zurück.

„Auf geht's, die letzten Arbeiten warten...“

„Auf geht's, die letzten Arbeiten warten…“

Es ist schon witzig, den spanischen Werftbetrieb zu beobachten. Alles ist etwas anders, als wir es aus Deutschland kennen. Erstens hört sich ein normales Gespräch unter Spaniern für unsere Ohren oftmals so an, als ob sie sich gleich an die Gurgel gehen und zweitens beratschlagt man sich und wenn’s nicht passt, wird irgendwie solange improvisiert und diskutiert, bis es passt.
Wir fühlen uns gut aufgehoben und alles ist irgendwie kein Problem. Wasser? Kein Problem, irgendwo hängt ein Schlauch, den man sich nehmen kann. Strom? Auch kein Problem, da findet sich noch eine Kabeltrommel, die bis zur PINCOYA reicht. Leiter? Nun ja, das ist schon ein kleines Problem, denn auf die ersten beiden Exemplaren möchten wir nicht allzu gerne hochklettern. Die haben zwar noch in loser Folge einige Stufen und Sprossen ?, und können sogar auch noch allein stehen ??, aber der Rest ist eher zweifelhaft. Aber dann findet sich doch noch eine richtig große Leiter, die wir haben können, deren Sprossen zwar verbogen, aber noch vollzählig sind und vor allem auch noch beidseitig an der Leiter selbst festsitzen. So geht es und wir starten unsere restlichen Aufräum- und Wintervorbereitungsarbeiten.


Pünktlich zur Schnittchenflut an diesem Abend bekommen wir einen Chat von Gaspar mit der Frage, ob sie morgen die PINCOYA noch mal umstellen dürfen. Kein Problem, die PINCOYA hängt ja immer noch halb im Travellift und das Vorstag ist noch nicht wieder vorn fest angeschlagen. Als wir dann am nächsten Vormittag in die Werft kommen, ist gerade großer Verschiebebahnhof. Noch mehr Leute, noch mehr Diskussion und noch mehr Beratschlagung, denn es müssen noch zwei weitere Schiffe untergebracht werden und eins davon ist eigentlich zu viel. Deswegen muss alles irgendwie zusammenrücken. Nachdem wir das Treiben etwas beobachtet haben, gehen wir erst einmal einen Kaffee trinken. Es können auch ruhig zwei werden, denn das scheint zu dauern. Als wir zurückkommen, ist es fast soweit, dass wir wieder auf die PINCOYA können. Am Ende ist damit der Vormittag futsch, ohne dass wir was machen konnten. Aber nun ja, so ist das eben, wir gewöhnen uns daran.

Das Vorstag können wir dann noch im Trockenen wieder anschlagen, aber dann beginnt es wie aus Eimern zu schütten. Das ist der maximale Mist, denn im Handumdrehen sind nicht nur wir durchgeweicht, sondern auch wirklich alles in und auf der PINCOYA. Im strömenden Regen schrubbe ich noch das Überwasserschiff, nehme den Propeller ab und mache den Rest soweit außen klar, wie es in diesem Schüttregen geht, denn ich bin ja ohnehin bis auf die Knochen durchgeweicht, da ist das auch egal. Astrid wirbelt währenddessen drinnen herum, aber dann zwingt uns der Regen doch abzubrechen. Wir hoffen und bitten für den nächsten Tag um etwas Sonne, und was soll man sagen, unsere Bitte wird erfüllt. Als ob nichts gewesen ist, scheint am nächsten Morgen eine vollkommen unschuldige Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel. Apropos Himmel, die Sonne ist wirklich ein Geschenk des Himmels. Sofort hängen wir alles auf der Sonnenseite raus, was noch von gestern Nachmittag trieft. Und abends ist tatsächlich alles trocken, alles abgearbeitet, alles verstaut und alles fertig, so dass die PINCOYA nun wohl gut die nächsten Monate ohne uns auskommen kann.

„Maximal ideales Trocknungswetter!“

„Maximal ideales Trocknungswetter!“

„Ein letzter Blick.“

„Ein letzter Blick.“

Dann geht’s nach einem letzten wehmütigen Blick auf die PINCOYA für uns zurück ins Hotel. All das, was mit soll, haben wir schon dort versammelt. Schnell verteilen wir all unsere Sachen auf zwei Taschen und zwei Rucksäcke und gehen noch einmal »Schnittchen testen«. In einer unserer Schnittchentheorien war Mittwoch ein spezieller Schnittchentag, aber diese Theorie fällt umgehend mit der Bestellung des ersten Bieres wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Hier ist jeden Tag Schnittchentag und es gilt auch heute die Regel 2 Bier = 6 Schnittchen + 1 x Chips. Sogar die Extrarunde mit den Tortilla-Häppchen gibt es wieder. So fallen wir schon früh, aber satt ins Hotelbett, denn morgen ist Rückflug und der startet um 7:00 am Aeropuerto Oviedo.

„Mit 428 Knoten zurück nach Hannover!!!“

„Mit 428 Knoten zurück nach Hannover!!!“

Um 3:45 rollen wir uns schlapp aus unseren Betten und trotten um 4:30 zum Busbahnhof. Der Bus bringt uns um 5:00 zum Flughafen, wo wir um 6:55 starten, um um 8:20 in Barcelona zu landen. Von dort geht es um 10:20 weiter nach Hannover und als uns Lin um 12:50 in Hannover in Empfang nimmt, ist unser Segelabenteuer 2019 zu Ende. Aber dieses Mal unterbricht die Arbeit das Segeln und nicht wie in all den Jahren vorher das Segeln die Arbeit. Ein kleiner aber feiner Unterschied, der sich wahnsinnig gut anfühlt.

Gijón
43° 32′ 43,9″ N, 005° 39′ 59,8″ W