Porto Santo – Inselausflüge I


Ganz langsam beginnt sich die Zeit zu verlieren. Der Ankerplatz leert sich. Der erste Andrang nach dem langen Warten ist vorbei. Die meisten Segler zieht es weiter. Wie aus der Zeit gefallen ankert nun ein norwegischer Dreimaster draußen in der Bucht. Unsere Zeit rast und steht gleichzeitig still. Wie lang ist es her, dass Astrid vor Anker Klavier gespielt hat? Die Töne schleichen sich verstohlen aus dem Salon und huschen durch das Cockpit, um vom Wind auf den Atlantik getragen zu werden. Es gibt nichts Näheres und nichts Weiteres als den Horizont. Dort verliert sich das Hier und Jetzt, um die Sehnsucht für das Dahinter zu wecken.
Der Atlantik ist friedlich geworden. Ganz ruhig heben und senken wir uns. Als ob wir auf dem Brustkorb eines schlafenden Riesen schwimmen. Doch dieser Riese kann auch ganz anders, wenn er wach ist, aber was für eine unendliche Ruhe strahlt das in diesem Moment aus?

„Ein Traditionssegler gesellt sich zu uns.“

„Ein Traditionssegler gesellt sich zu uns.“

Deswegen sind wir aufgebrochen und haben auch so vieles abgebrochen. Es ist schwer, die richtigen Worte dafür zu finden. Der Moment ist Glück. Es geht nicht um ein »wohin« und schon gar nicht um ein »wie hoch«, »wie weit« oder »wie schnell«. Es ist schön dort anzukommen, wo man gerne sein möchte. Doch das hängt nicht an einem Breiten- oder Längengrad, an einem Land oder einer Sehenswürdigkeit. Glück ist der Moment, den man nicht mehr loslassen möchte.
Astrids Klaviertöne werden über das Wasser getragen und schwappen fast unmerklich hinaus und wieder zurück. Genauso wie die Sehnsucht, die hinter den Horizont fliegt und zurück kommt, um einen abzuholen.

„Es ist ruhiger geworden, Sonnenaufgang vor Porto Santo“

„Es ist ruhiger geworden, Sonnenaufgang vor Porto Santo“

Manchmal ist es zum Heulen unwirklich schön. Wir sind uns bewusst, dass wir ein sehr großes Privileg haben, all dies so erleben zu dürfen. Doch es ist auch ein sehr großes Privileg, all dies so erleben zu können.

Auf unserem Ankerplatz ist es ruhig geworden. Die Schnellen sind weiter, die Langsamen bleiben noch. Heute wirkt alles fast familiär. Diejenigen, die es um die Welt zieht, sind weiter, nun sind die Individualisten wieder in der Überzahl. Gestern haben wir eine französische Familie getroffen. Zwei Kinder, Mutter und Vater. Eins der Kinder mit Down Syndrome. Alle vier quatschend und ganz offensichtlich glücklich. Es ist unglaublich, welche Berge ein Wunsch versetzen kann! Wie klein kann das sein, was wir selbst als schwierig erachten oder von dem wir annehmen, dass es etwas gänzlich unmöglich macht.

„Der Anchorage vor Porto Santo leert sich“

„Der Anchorage vor Porto Santo leert sich“

Die Langsamkeit ist schon ein recht guter Schlüssel. Dennoch haben wir immer noch so unsere Schwierigkeiten mit dieser Langsamkeit. Im Kopf ist zwar alles recht klar, aber als gestern und heute die große Aufbruchsstimmung von Schiff zu Schiff sprang, hat sie auch an uns doch wieder herumgeknabbert.

Nun aber werden wir erst einmal in den Abend geschaukelt. Es ist leise geworden und erst jetzt fällt uns auf, dass keine Fallböen mehr über das Wasser jagen. Wie ungewohnt und wie schön.


„15 Kilometer! Nicht nur  im Sattel 🤭“

„15 Kilometer! Nicht nur im Sattel 🤭“

Im Osten von Porto Santo nach Ponta do Passo
Von einem strahlend blauen Himmel kann zwar keine Rede mehr sein, aber damit haben wir auch nicht wirklich gerechnet, denn strahlend blauen Himmel gibt es auf Wetteronline immer nur in der Zukunft. Je näher der Tag mit der Sonne dann kommt, desto wolkiger wird die Vorhersage.
Ohne lange nachzudenken, entscheiden wir uns für die Fahrräder und nicht für die Wanderschuhe. Etwas klettern und einige steinige Pfade sind zwar schön, aber echtes Streckenwandern ist so gar nicht unser Ding. Doch wir liegen vor Anker und unser Dinghy ist ja auch nicht das größte. Aber angesichts der beiden Runden, die wir über Porto Santo drehen wollen, packen wir zunächst mal ein Fahrrad zusammengeklappt ins Gummiboot.

„Unsere Fahrradfähre“

„Unsere Fahrradfähre“

Zwei Personen und ein Fahrrad sind auch genug. Während Astrid dann schon mal zum Office geht, um für Montag auszuchecken, hole ich das zweite Fahrrad und meinen Photorucksack. Bisher waren wir immer skeptisch, ob das alles so klappt, aber es funktioniert super. Und schließlich machen wir diese Aktion ja auch für zwei Ausflüge, denn wir werden die Räder einfach im Hafen anschließen, um gleich morgen noch die Tour in den Westen der Insel zu machen.

Porto Santo ist ja bei weitem nicht so bergig wie Madeira und viele schreiben, dass man ganz wunderbar mit den Rädern unterwegs sein kann. Das ist auch richtig, solange man die Uferstrasse nicht verlässt und es nicht so sehr bergauf geht. Wir wollen aber erst zu dem kleinen Kirchlein, dann zu dem Aussichtspunkt mit den Windmühlen hoch über dem Hafen und dann noch weiter runter in den Osten der Insel.
Nun zählt das bergziegenartige Klettern nicht unbedingt zu den Kernkompetenzen unserer Klappräder. 🚴‍♀️💨 Und der nächste Schwachpunkt sind unsere Beine 🚴‍♂️ 💨. Zusammengenommen macht uns das nicht gerade pfeilschnell.

„Zuerst noch flott....“

„Zuerst noch flott….“

Nachdem wir zuerst von der Uferstraße nach rechts in Richtung Aeroporto abgebogen sind und dann noch einmal nach rechts abbiegen, sehen wir schon die Capela de Nosa Senhora da Graça vor uns, aber leider auch noch sehr hoch oben. Wer kommt bloß auf die Idee, solche kleinen Kirchlein so hoch am Berg zu bauen? Von dort hat man sicher einen tollen Ausblick, aber ob man dort dann auch wirklich dem Heiligen Geist entscheidend näher ist, ist so die Frage. Auf jeden Fall läutert uns der Weg dort hinauf. Und wir schieben, nicht nur um der Läuterung mehr Zeit zu gönnen. Ab und zu können wir auch wieder fahren und ein alter, sonnengegerbter Porto-Santoaner schaut uns über seinen Gartenzaun zu und feuert uns dann auch kräftig an. Ein kleines Tour de France-Feeling keimt in uns auf, aber hinter der nächsten Kurve schieben wir wieder.

Obwohl man ja, egal wie widrig die Umstände und Bergetappen auch sind, immer deutlich mehr tritt, fährt oder auch nur rollt, erscheint einem jede »Schiebeetappe« schier unendlich. Das werden wir noch ganz besonders am nächsten Tag erleben, aber das ist eine andere Geschichte, die nun noch etwas warten muss. Vollkommen aus der Puste sehen wir nach einer gefühlt unendlich langen Schiebeetappe und kurz vor der kleinen Allee, die hoch zum Portal der Kapelle führt, einen kleinen Supermarkt. Wir haben nur einen halben Liter Wasser dabei und es ist schon jetzt klar, dass wir damit nie auskommen werden.

„Der Supermercado für alles!“

„Der Supermercado für alles!“

Also rein, aber … es ist gar nicht nur ein Supermarkt, es ist ein »Super(bau)markteinrichtungshaus-und-Universalversorgungsladen«. Faszinierend! Hier bekommt man alles, was einem überhaupt einfallen könnte. Von Beton über Pflastersteine und jeglichem Baumaterial, über alle Arten von Werkzeug, Farben und Ersatzteilen für Dinge, die man noch gar nicht kennt, und selbstverständlich das normale Supermarktprogramm bis hin zu neuen Tischset, Kochtöpfen, Gläsern und Kunstrasen mit dem passenden Sonnenschirm über der neuen Gartengarnitur. Sprachlos sehe ich mich um und selbstverständlich bekommen wir 1,5 Liter eisgekühlte Cola. Hammer, das ist mal ein echter Fullservice!

„Es wird steiler...“

„Es wird steiler…“

Frisch gestärkt vom Zuckerwasser der Cola nehmen wir den Alleenaufgang zu den Portaltreppen des Kirchleins. Portaltreppen hört sich gewaltig an und lässt eher eine Kathedrale vermuten. Und in der Tat wirken der Aufgang, die Treppen und auch der Platz rund um die Kappelle schon recht üppig für eine Bergkapelle. Wir sind ganz allein hier oben und legen erst einmal eine kleine Pause ein. Alles um uns herum wirkt durch seine Schlichtheit und Abgeschiedenheit. Leider ist die Kapelle verschlossen. Man fragt sich unwillkürlich, warum Menschen auf die Idee kommen, hier und vollkommen abseits allen Stadtlebens, solche eine Kapelle zu bauen. Doch vielleicht ist es ja auch genau das. Die Lage, der Ausblick, die Ruhe und die Abgeschiedenheit.

„Geschafft...“

„Geschafft…“

Der Ausblick ist in jedem Fall phantastisch. Ringsherum sonnenverbrannte Berghänge, in die die Erosion tiefe Schneisen geschlagen hat. Es ist unglaublich, dass auf den Hängen im Frühling alles blühen und grün sein soll. Und vor der Küste der Insel das türkise Meer, das im Wolken- und Sonnemix ganz unterschiedlich schimmert. Wir sind total froh, dass unser Plan uns im nächsten Frühjahr wieder hier herführen soll. Mal sehen, ob dann wirklich alles grünt und blüht. Wir sind gespannt.

„Die Aussicht auf Porto Santo mit Vila Baleira“

„Die Aussicht auf Porto Santo mit Vila Baleira“

„Grün sind im Herbst nur noch die Kakteen“

„Grün sind im Herbst nur noch die Kakteen“

Nach der Capela de Nosa Senhora da Graça radeln wir ohne viel auf und ab zu den Windmühlen und dem Miradouro direkt über dem Hafen.

„Der Windmühlenpark oberhalb des Hafens von Porto Santo.“

„Der Windmühlenpark oberhalb des Hafens von Porto Santo.“

Hier treffen wir zufällig Johanna und Holger, die gerade nach Porto Santo gezogen sind, um ganz anders und ganz neu noch einmal zu beginnen. Sie haben alles hinter sich gelassen und sind gerade dabei, ein kleines B&B aufzubauen. Für ihre Gäste erkunden sie nun schon mal jeden Winkel der Insel, um ihnen die richtigen Tipps geben zu können. Wenn man so unterwegs ist wie wir, dann trifft man ja zwangsläufig doch eher auf Lebensideen, die sich um ein Leben unter Segeln ranken. Doch die Gründe sind im Kern schon recht ähnlich, wenn Menschen beschließen, in ihrem Leben etwas zu ändern. Wobei man an dieser Stelle sicher die Segler herausfiltern muss, die unterwegs sind, um in ihrem Leben noch einmal etwas Dolles zu erleben. Das ist ja dann doch eher wie Marathon mit 42, Harley mit 55 und Wohnmobil mit 66, was sicher toll ist, aber eben meist doch eher wenig ändert. Doch es gibt auch echte Veränderung, denn Träume und Ideen können Berge versetzen, wenn man sie lässt.

„Port do Porto Santo, rechts der Anchorage“

„Port do Porto Santo, rechts der Anchorage“

„Vila Baleira“

„Vila Baleira“

An dem Aussichtspunkt über dem Hafen haben wir nun zwei Möglichkeiten. Entweder denselben Weg wieder zurück oder mal gucken, was da noch so im Osten der Insel kommt. Beides bedeutet eine bequeme Abfahrt über Kilometer und frischen Fahrtwind ohne jede Anstrengung 👍. Über der Abfahrt nach Osten schwebt allerdings das Damocles-Schwert des Wiederanstiegs 😳. So schön runter auch ist, nach diesem Runter müssen wir denselben Weg wieder zurück. Und so wartet mit unserer Entscheidung herunterzufahren auch schon gleich wieder eine schlimme Bergetappe auf uns, deren Bergwertung wir mit unseren Klapprädern nur kläglich verlieren können.

„Da soll es runter gehen...“

„Da soll es runter gehen…“

Aber was heißt hier, »denselben Weg wieder zurück?«. Unsere Wander-App zeigt einen Weg, der »untenherum« zurück zum Hafen führen könnte. Auf halben Weg soll es einen Tunnel geben, der die Klippen durchbricht und das Unmögliche möglich machen soll.
Also los, wieder hoch wäre echt scheiße, aber die Hoffnung lässt uns auf unseren Klapprädern mit nach Gummi stinkenden Bremsen bis zum Ende der Straße vor den Klippen sausen. Zum Praia do Porto de Frades, was für eine Fahrt! Die Landstraße fliegt dahin, wie ätzend wäre hier eine Wanderung!

„An der Ostküste“

„An der Ostküste“

„Wilde Klippen...“

„Wilde Klippen…“

„... und heilsamer Sand 👍 🙂!“

„… und heilsamer Sand 👍 🙂!“

Und in der Tat führt von dem Wendeplatz der Landstraße eine sandige Schotterpiste an der Küste entlang und das auch noch in die gefühlt richtige Richtung zum Hafen. Und was für eine wunderbare Schotterpiste das ist! Die Landschaft der Insel rechts und der Küstenverlauf mit seinen Klippen links ist atemberaubend. Und wir sehen, wo der Sand von Porto Santo herkommt, dem ja zudem eine heilende Wirkung nachgesagt wird. Sogenannte Äolinite, ziemlich hart verdichtete, dünenartige Sandablagerungen ziehen sich in wild schrägen Schichtungen die Hänge der Insel hinauf. Das fast beeindruckendste daran sind, – ich sag’s mal so, weil ich es nicht besser weiß -, sind die teilweise freigewehten Bauten von »Unterwasser-Temiten«. Fast meterlange Röhren recken sich betonhart aus dem Sand in den Himmel.

„Da geht's rauf in die Dünen.“

„Da geht's rauf in die Dünen.“

„Bauten der Unterwassertermiten“

„Bauten der Unterwassertermiten“

Natürlich muss sich der Schiffsjunge das mal näher ansehen und krabbelt auf allen Vieren die Sanddüne hoch. Die ersten 30 m geht es noch ganz gut, aber dann muss der Schiffsjunge doch in den »Allradmodus« umschalten. Vollkommen fertig schaffe ich es, nachdem ich schon gezweifelt habe und bestimmt jeden einzelnen Höhenmeter mindestens viermal gekrabbelt bin. Eine vollkommen blödsinnige Idee, zumal mir die Capitana lächelnd entgegenkommt, sie hat einen anderen Weg genommen. Immerhin bin ich auch oben und zudem vollkommen versandet, was bei der heilenden Wirkung des Sandes ja auch nur gut sein kann!

„Es gibt auch einen einfachen Weg...“

„Es gibt auch einen einfachen Weg…“

Etwas weiter die Schotterpiste entlang sehen wir dann den Tunnel. Ein portugiesisches Pärchen warnt uns, vorsichtig zu sein, aber sagt auch, dass grundsätzlich alles frei sei. Sie erzählen uns, dass der Tunnel für das Abpumpen des Öls eines havarierten Frachter gebaut worden sei. Ein kurzer Blick über die zur Zeit sehr ruhige See lässt uns zweifeln, ob ein havarierter Frachter an dieser Stelle wirklich so lange überlebt hätte, dass der Tunnel und die Leitung zum Abpumpen hätte fertig gestellt werden können.

„Der Tunnel!“

„Der Tunnel!“

Aber egal, der Tunnel ist da und er führt uns auf die andere Seite der Klippe Ponta do Passo. Dahinter wird es allerdings etwas – sagen wir mal – »alpiner«.

„Der Weg zurück!“

„Der Weg zurück!“

Von einem Weg oder gar einer Schotterpiste kann gar keine Rede mehr sein. Wir lassen die Räder vor dem Tunnel liegen und erkunden erst einmal das »Weiter«. Hm, die Entscheidung ist nicht einfach. Ab und zu werden wir die Räder schieben können, aber auf einigen Etappen werden wir sie auch tragen müssen. Im Angesicht der langen Bergetappe zurück, die als Alternative winkt, entscheiden wir uns für das Vorwärts. Schlimmer als 5 Kilometer bergan schieben, kann die Schlepperei über den Bergziegenpfad auch nicht sein.

Früher muss der Bergziegenpfad mal ein echter Weg gewesen sein, aber nicht unerheblicher Steinschlag hat ihn in einen echten Kletterpfad verwandelt. Mit etwas gemischten Gefühlen kraxeln wir mit unseren Rädern über den sich an die Klippen schmiegenden Pfad. Insgesamt ist es ganz ok, aber stückweise hat die Erosion auch Teile des Weges einfach weggespült. Doch es lohnt sich. Absolut! Besonders, wenn man nicht gerade seine Klappräder spazieren tragen muss und den Weg vielleicht gleich aus der anderen Richtung direkt vom Hafen nimmt, dann ist das eine Kletterwanderung mit 5 Sternen! Als Ziel der Tunnel mit den dahinter liegenden Äoliniten und mit den tollen Bauten der Unterwassertermiten 😇.

„Hafen in Sicht, fast geschafft...“

„Hafen in Sicht, fast geschafft…“

„... aber nur fast!“

„… aber nur fast!“

Kurz vor dem Hafen wird aus dem Gämsenstieg wieder eine Schotterpiste und ziemlich kaputt erreichen wir die Marina, schließen unsere Räder an und blicken stolz auf die zurückliegenden 15 Kilometer unseres ersten Ausflugs. Puuuh, nun erst einmal ein Schwimmerchen.

„Zurück am Hafen“

„Zurück am Hafen“

„Die Hafenrunde ...“

„Die Hafenrunde …“

„Das PINCOYA-Zuhause in Sichtweite“

„Das PINCOYA-Zuhause in Sichtweite“

Immer noch vor Porto Santo vor Anker
33° 03′ 38,4″ N, 016° 19′ 12,3″ W