Substanz

Die grundsätzliche Substanz eines Gebrauchtschiffes ist unserer Ansicht nach eines der wichtigsten Themen beim Schiffskauf. Es ist sozusagen die Basis, auf der alles aufsetzt. Das Thema “Substanz” haben wir uns aus zwei Richtungen angesehen:

  • Grundsätzlich
    und
  • auf dem Hintergrund der Zeit.

Ist der Kasko schon schlecht verarbeitet, sind Materialstärken und Basiskomponenten, wie z.B. Wandstärken und Püttinge, schwach dimensioniert oder gibt es echte Konstruktions- oder Materialfehler, so ist auch mit Liebe und Einsatz nicht mehr viel zu retten. Im Internet findet man immer wieder Beispiele für solche ausweglosen Situationen. Hinter einer schlechten und falsch angebrachten Isolationsschicht gammelt und rostet es unter Umstände schon seit Jahren. Eine Renovierung bedeutet praktisch, dass das Schiff in der Hoffnung entkernt werden muss, dass nicht noch größerer Schaden zum Vorschein kommt. Ein Fehler bei der Materialkombination auf einer Aluyacht pulverisiert das Alu. Wenn dies z.B zwischen Kielbalast- und Rumpfmaterial geschieht, dann ist es in den meisten Fällen das Todesurteil. Ist der Mastfuß nicht solide auf dem Kiel abgestützt, drückt es das gesamte Deck herunter. In Summe heißt dies, wenn die Yacht, die man kaufen möchte, eines oder mehrere dieser grundsätzlichen Probleme hat, sollte man die Finger davon lassen. Natürlich kann man sich aber auch ganz bewußt darauf einlassen, weil man sich die Renovierung selbst zutraut und genügend Zeit und Geld in dieses Abenteuer reinstecken kann. Eine werftseitige Renovierung dürfte wohl nur für Millionäre in Frage kommen, die sich unsterblich in solch einen Schrotthaufen verliebt haben.

Auf der anderen Seite nagt auch an der besten Substanz der Zahn der Zeit. Wird ein Schiff mit guter Grundsubstanz richtig und umsichtig gepflegt, hält es fast ewig und entsprechende Gebrauchtbootpreise sind auch gerechtfertigt. Aber selbst die beste Substanz wird durch keine oder falsche Pflege gnadenlos zerstört. Solideste Stahlrümpfe korrodieren, wenn die Anschraubpunkte der Opfenanoden sorgfältig lackiert werden. Die schönsten Teakdecks werden Jahr um Jahr weggeschrubbt, weil sich ein Moosgärtlein gebildet hat und Boracol unbekannt ist. An undicht gewordenen Luken zieht Wasser in das Sandwichlaminat und irgendwann ist das Deck großflächig so kuschelig weich, wie eine Isomatte.

All das kann man rauskriegen, wenn man aufmerksam hinsieht und sich nicht durch die nackte Kaufbegeisterung blind machen läßt. Und das einen die nackte Kaufbegeisterung trotz aller rationaler Überlegungen doch immer wieder überfällt, kennen wir selbst nur zu gut. Dann hilft nach unserer Erfahrung eigentlich nur, dass man sich wenigsten eine, besser zwei oder drei Nächte zum Überschlafen verordnet. So sehr das auch an einem knabbert.

Und ein zweiter Grundsatz gilt: Ein Gammel kommt selten allein. D.h., wenn man eine gravierende Gammelecke aufgrund von falscher Pflege gefunden hat, dann kann man ganz sicher davon ausgehen, dass es weitere gibt. An dieser Stelle lohnt es sich dann, einen Gutachter  hinzuzuziehen, wenn es immer noch genau diese Yacht sein soll.

Für uns war wichtig, dass die Grundsubstanz stimmte. Deswegen hat uns die Erkenntnis, dass die PINCOYA Osmose hat, auch ziemlich aus der Bahn geworfen. Ohne die Expertenmeinung und -unterstützung von Peter Wrede, hätten wir die PINCOYA auch nicht gekauft (siehe auch unseren Bericht “Die Kaufentscheidung”)

Uns war von vornherein klar, dass wir an unserem neuen Schiff einiges renovieren, umbauen und erweitern müssen. Hierfür war und ist auch Geld eingeplant. Aber auf keinen Fall wollten wir uns eine gebrauchte Restaurierungsbaustelle kaufen. Unser neues Schiff sollte von der ersten Minute an segel- und urlaubsbereit sein, da wir nicht jahrelang auf das “große Ereignis” hinrenovieren wollten. Wir wollten jetzt gleich und sofort unseren Segel- und Urlaubsspass haben und nichts aufschieben. Getreu dem Motto: im Sommer wird gesegelt und im Winter gebastelt.

So hatten wir z.B. in Holland ein sehr schönes Stahlschiff besichtigt, dessen Ausstattung zwar minimalistisch war, dessen Substanz aber absolut gepflegt und top in Ordnung war. Leider war es mit seinen knapp 11m und einer für uns ungünstigen Aufteilung dann doch nicht passend. Auf der anderen Seite schauten wir uns eine 13m Motiva an. Ein tolles Schiff, aber heruntergekommen. Nicht auf den ersten Blick, aber wir sind auf dem Schiff in Ecken gekrochen, die der Eigner vorher noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Und was wir da an Rost und Gammel sahen, nahm uns jedes Vertrauen, dass das Schiff “von guter Substanz” ist.

Oftmals ist es für einen Laien schwierig, die Substanz wirklich richtig zu beurteilen. Man sollte dann aber, wenn man aus den hintersten Ecken wieder hervorgekrochen kommt und Zweifel hat, auf sein Bauchgefühl hören und einen Gutachter hinzuziehen.