Die Kälte sitzt in den Knochen

Heiligenhafen / Ortmühle -> Anholt Start: 23.05.2015 16:00 Ende: 24.05.2015 21:15 Distanz: 167,7 sm Gesamtdistanz: 167,7 sm

„von Heiligenhafen / Ortmühle -> nach Anholt“

„von Heiligenhafen / Ortmühle -> nach Anholt“

Gegen 4:00 wird es wieder dämmrig. Der helle Streifen im Norden ist langsam von Nordwest nach Nordosten gerutscht und dort wird er nun wieder dicker und heller. So richtig stockdunkel war es in der ganzen Nacht eigentlich nie, der Dämmerungsstreifen im Norden und der magere Mond hatten immer genug Licht, um die Nacht nie ganz zum Zuge kommen zu lassen. Über uns wölbt sich eine Sternenkuppel, glasklar, aber auch eiskalt. Mit Sommer haben die Temperaturen hier nichts zu tun. Obwohl wir einen heißen Tee nach dem anderen in uns reinschütten, kriecht die Kälte unaufhaltsam in die Knochen. Unter Deck läuft die Heizung, dort können wir uns aufwärmen und freuen uns wieder einmal über den Decksalon, denn ein Wachegehen draußen ist so nur ab und zu notwendig, wenn wir gar nicht wissen, was uns die vielen Lichter im Belt nun sagen wollen.

Der Wind hat sich nur zum Sonnenuntergang eine kurz Verschnaufpause gegönnt, dann hat er es sich aber doch wieder anders überlegt und uns weiter kräftig durchgeschaukelt. Aus dem „Westdrehend“ ist auch nichts geworden, so fahren wir bei runden 20kn immer noch hart am Wind. Die Welle und der Wind machen unsere Fahrt nicht gerade gemütlich. Man muss das schon mögen und wenn einen im Dunkeln eine Welle wieder und wieder gegen die Tischkante schubst, dann brauchen auch wir etwas, um uns das schön zu reden.

Vom eigentlichen Sonnenaufgang bekomme ich nicht viel mit. Astrid hat Wache. Von unseren grundsätzlichen Wachplanüberlegungen, tagsüber 4 Stunden, nachts und zur Dunkelheit jeder 3, also die Hälfte, ist bisher nicht viel übrig geblieben. Zu Anfang waren wir wohl einfach zu aufgeregt, dann war es für unsere Mägen doch besser draußen zu bleiben und dann fuhren wir genau zum Einbruch der Nacht in den Großen Belt ein. Da ist am Samstagabend ordentlich was los, unter anderem reihen sich die Kreuzfahrtschiffe und die Fähren nach Skandinavien dicht aneinander. Samstags ist wohl auch auf den Kreuzfahrern Bettenwechsel. So haben wir jeder nur 2 mal eine halbe Stunde Schlaf bekommen. Das ging auch bis zum Morgen ganz gut, aber dann mussten wir wirklich abwechselnd mal etwas länger schlafen.

So sitze ich hier nun gegen 6:30 zu meiner Wache im Salon und schreibe diesen Blog, während ich den inzwischen nicht mehr vorhandenen Schiffsverkehr durch die großen Scheiben beobachte. Die Heizung brummt dazu und macht es dem Wachgänger etwas leichter. So langsam bekomme ich das Gefühl: „Ja, so könnte es gehen.“ Der Stress hat etwas nachgelassen und die Seebeine sind auch schon wieder ein ganzes Stück gewachsen. Auf Bürostühlen verkümmern die im Winter wohl besonders schnell.

Ich habe inzwischen einen Bärenhunger auf etwas Warmes und Salziges. Nur Brot und Tee ist bei diesem Wetter auch nichts Richtiges. Als Astrid dann gegen 9:00 aus der Koje krabbelt, frage ich sie, wann sie das letzte Mal Erbsensuppe mit Extrakartoffeln Pfingstsonntag zum Frühstück hatte. Noch NIE, also los!

„Sonntagsfrühstück mal anders."

„Sonntagsfrühstück mal anders."

Vormittags reißt dann auch langsam die Wolkendecke auf und die Sonne beginnt zu wärmen. Der Wind ist zwar immer noch schneidend kalt, aber hinter dem Decksalon im Windschatten ist es richtig schön. Die kalten Knochen tauen wieder auf. Erst zum Mittag kommt wirklich der Winddreher auf West und dann zum frühen Nachmittag sogar auf Süd. Wir nehmen das schlackernde Vorsegel weg und fahren nur mit Groß platt vor dem Wind Richtung Nord.

Um 16:00 logge ich unser erstes Etmal mit erstaunlichen 132,7 sm. Das sind runde 5,5 sm pro Stunde. Wer hätte das gedacht, ein Superwert für unsere untertakelte Dame mit den gestutzten Segeln. Wir sind nun fast genau vor Grenaa und halten Læsø an. Dort werden wir wohl in runden 9 Stunden sein, wenn es so flott weitergeht.

„Auf dem Weg zu unseren Etmal von 132,7 sm.“

„Auf dem Weg zu unseren Etmal von 132,7 sm.“

Astrid ist endlich mal richtig eingeschlafen. Ich checke das Wetter. Im Nordwesten steht eine schwarze Wand, die recht unfreundlich aussieht. Was tun, wenn’s zu ungemütlich wird? Læsø ist keine Alternative. Auflandiger Nordwest und es wird noch dunkel sein, wenn wir dort sind. Marstrand? Hmm, dann ist es hell und wir können in die Schären. Bei Dunkelheit wollen wir dort auf keinen Fall rein. Auf Höhe Marstrand sind wir aber erst, wenn es schon mit 6 bis 7 wehen soll. Auch nicht so verlockend im Kattegat/Skagerrak, zudem es auch Regen geben soll. Steuerbord haben wir jetzt den großen neuen Windpark zwischen Grenaa und Anholt. Es steht hier zwar schon eine ordentliche Welle, die ist aber vor dem Wind, nur mit Groß, kein Problem. Nur manchmal läuft die PINCOYA aus dem Ruder und der Autopilot hat richtig etwas zu tun. Nur einmal musste ich bisher eingreifen, weil er es nicht mehr packte. Was tun? Die letzte Nacht steckt uns noch in den Knochen. Das war schon recht anstrengend mit dem vielen Wind, den Wellen und der Kälte.

Als Astrid aus der Koje guckt, erzähle ich ihr von der Alternative Anholt. Wenn wir keine Alternative hätten, würde es auch weitergehen, aber wir haben eine. Also biegen wir im Norden des Windparks nach Osten ab. Es folgt ein unglaublicher Schlingerkurs bei halbem Wind und halber Welle. Gegen 21:15 sind wir in Anholt fest und fallen nach einem Anlegebier zufrieden in die Kojen.

„Fluchtpunkt Anholt.“

„Fluchtpunkt Anholt.“

Nun doch hier auf Anholt.
56° 42′ 53,6“ N, 11° 30′ 46,6“ E