Sibirische Verhältnisse und ein neuer Vulcan

vor der Haustür Start: 23.04. 15:30 Ende: 24.04.18:40 Wind: NW 10 – 25 kn Distanz: 18,0 sm Gesamtdistanz: 18,0 sm

Zum Kaffeekochen am Samstagmorgen lächelt mich nur ein schwächliches Butangasflämmchen müde an und will gleich immer wieder verlöschen. Zu unserem Krantermin vor 4 Wochen war es noch kein Problem, Kaffee zu kochen. Da wollte das Butan noch gerne aus den blauen Flaschen kommen. Jetzt scheint es daran fast gar kein Interesse mehr zu haben. Da wir den Espresso gestern im Auto vergessen haben, ziehe ich mich warm an. Die Snowboardhose und -jacke passen gut zu diesen Temperaturen. Morgen soll es auch auch noch Schneeregen geben. Auf dem Steg riecht es schon nach Kaffee. Unter der Kuchenbude einer X-Yacht sitzt ein verfrorenes Etwas, was wohl früher einmal ein stattlicher Regattasegler war. Zitternd umklammert er seinen dampfenden Becher und als Morgengruß kommt nur: „Mannoman, was für eine Scheißkälte!“. Unter dem Kran haben sich die Weicheier der Seglern versammelt, die, die erst später kranen, weil es vor Ostern immer noch viel zu kalt ist. Denen schmettere ich ein „Moin, tolles Kranwetter heute!“ entgegen und muntere sie noch schnell mit dem Nachsatz auf: „Echt Glück gehabt, es soll ja erst morgen schneien!“ Aber keiner antwortet und alle fummeln weiter an ihren Masten herum. Früher war wirklich einmal alles anders, da war die Stimmung noch nicht so frostig.

Eigentlich ist das Wetter gar nicht so schlecht. Die Sonne scheint munter bei ca. 2° C und erweckt bei flüchtigem Hinsehen aus dem warmen Decksalon durchaus den Eindruck eines ordentlichen Frühsommertages. Gestern haben wir von Toplicht in Hamburg unseren neuen Anker abgeholt. Einen 25kg Rocna-Vulcan. Eigentlich ist es noch gar nicht unser neuer Anker, denn wir sind uns noch sehr unsicher, ob er wirklich der Richtige ist. Vor 14 Tage bin ich bei Toplicht im Lager fast in Ohnmacht gefallen, als ich ihn das erste Mal auf der Euro-Palette vor mir liegen sah. Ein Monster von einem Anker mit einer leichten Ähnlichkeit zu einer mutierten Elchschaufel ohne Zacken. Ich machte schnell einige Photos und schrieb Astrid: „Das geht gar nicht, das ist ein Monster! Unser Cockpit-Tisch ist halb so groß!“ Der freundliche Toplicht-Verkäufer gab mir dann den Rat, doch mal die Ankerschablonen von der Rocna-WebPage auszudrucken und mir zunächst einen Vulcan aus Pappe zu basteln. Das habe ich dann auch gemacht. Aber ich habe mal gleich mit der 20kg-Variante begonnen, der Schrecken der 25kg saß mir noch zu tief in den Knochen.

„Wir basteln uns einen Papp-Vulcan. Der hat nicht ganz 25kg, sieht aber aus wie seine Stahl-Reinkarnation.“

„Wir basteln uns einen Papp-Vulcan. Der hat nicht ganz 25kg, sieht aber aus wie seine Stahl-Reinkarnation.“

Am Bug der PINCOYA sieht der Papp-Kamerad auch noch ziemlich gewaltig aus, aber wenn er da so hängt, wirkt er nicht mehr ganz so groß. Wieder zuhause basteln wir uns dann auch noch gleich einen 25kg Papp-Vulcan, um beide nebeneinander zu halten. Der Unterschied ist nicht wirklich groß.

„Bei langem Hinsehen und mit etwas Gewöhnung……. na ja!“

„Bei langem Hinsehen und mit etwas Gewöhnung……. na ja!“

Was tun? Wir überlegen tagelang hin und her und schlußendlich fragen wir bei Toplicht, ob wir den 25 kg Vulcan mal mitnehmen können, um zu gucken, ob er passt oder nicht. Und da das alles absolut kein Problem war, fummeln wir nun bei inzwischen sommerlichen 4°C den alten Bruce-Anker ab und setzen den neuen Vulcan am Bugkorb in die Ankerhalterung ein.

„Der alte Bruce-Anker ist nur 5 Kilo leichter, hat aber im Vergleich eine winzige Fluke.“

„Der alte Bruce-Anker ist nur 5 Kilo leichter, hat aber im Vergleich eine winzige Fluke.“

Das sieht schon alles recht gewaltig aus. Brauchen wir wirklich 25kg? Aber der 20kg Vulcan ist auch nicht viel kleiner und wiegt eben nur 5 kg weniger. 5 kg sind aber auch nur 2,5 m Kette. Das ist alles lächerlich und wir beginnen, uns an die mutierte Elchschaufel zu gewöhnen. Nach der Sizing-Tabelle von Rocna wäre der 20kg-Vulcan genau richtig. Beim Ankern ist allerdings „etwas mehr“ nicht wirklich schlimm und dort, wo wir hin wollen, ist Ankern oft die einzige Alternative. Sollen wir jetzt an 5 kg sparen und uns hinterher vielleicht ärgern?

Auf der anderen Seite, unter dem Bugspriet verschwindet er ja dann sowieso und jetzt, ohne Bugspriet ist es eine praktische Trittstufe. Noch eine heiße Tasse Tee später und nach einigen weiteren kritischen Betrachtungen vom Bug und vom Steg aus, entscheiden wir uns, ihn zu behalten. Damit steht auch das Nachmittags- und Nachtprogramm fest. Bei schwächlichen 5 Beaufort, aber polarverdächtigem Schneeregen werden wir ihn ausprobieren und vor Orth ankern. Dort nimmt Flüggesand die Welle, aber es gibt wenig Abdeckung, da kann er gleich mal zeigen, was er kann.

„Der Fluxgate bekommt einen Logenplatz und … zack … geht’s los.“

„Der Fluxgate bekommt einen Logenplatz und … zack … geht’s los.“

Nachdem diese Entscheidung gefallen ist, bastele ich noch schnell den demontierten Fluxgate-Kompass wieder provisorisch an den Autopiloten. Der Autopilot soll noch eine Chance bekommen, die Kabel des Fluxgate habe ich durchgemessen, da ist alles ok, also mal sehen, ob er sich berappelt und uns im Sommer brav nach Estland steuert. Ohne Autopiloten ist die Estland-Tour nicht möglich, da hängt unsere Urlaubsplanung an einem kleinen Stückchen Technik. Der Fluxgate hat im Salon einen neuen, wenn auch zunächst provisorischen Platz bekommen, die Justierungskringel und der Probeschlag nach Orth werden zeigen, ob er sich dort wohl fühlt.

„Bis vor Orth und am nächsten Tag zurück.“

„Bis vor Orth und am nächsten Tag zurück.“

Um 15:30 geht’s los und die Kringel zum Eichen des Fluxgate sind schnell gefahren. Schon nach gut 1,5 Kringeln piept es fröhlich, der Platz scheint dem Fluxgate-Kompass zu gefallen.

„Endlich alles (fast alles) fertig und die entspannte Segelsaison 2016 kann beginnen.“

„Endlich alles (fast alles) fertig und die entspannte Segelsaison 2016 kann beginnen.“

Der erste Probekurs unter Motor verläuft ziemlich gerade und ohne Ausreißer. Die dann folgenden Kurse unter Segeln auch. Uns fällt ein Stein vom Herzen, hier scheint zunächst einmal alles wieder ok zu sein und sich keine neue Baustelle aufzutun. Zwischenzeitlich briest es recht kräftig auf. Dicke schwarze Winterwolken haben Böen mit gut 25 kn im Gepäck. Ein prima Wetter zum Testankern.

„Immer wieder ziehen dicke schwarze Wolken durch, die für uns fast immer etwas Hagel mitgebracht haben.“

„Immer wieder ziehen dicke schwarze Wolken durch, die für uns fast immer etwas Hagel mitgebracht haben.“

„…. aber dann gibt es wieder diese Sundowner, die für alles entschädigen und die Kälte im Decksalon vergessen lassen.“

„…. aber dann gibt es wieder diese Sundowner, die für alles entschädigen und die Kälte im Decksalon vergessen lassen.“

Vor Orth lassen wir den Rocna-Vulcan das erste Mal runter, stecken gut 20m Kette, geben ihm etwas Zeit zum einbuddeln und ziehen dann unter Motor mal richtig kräftig an ihm. Er rührt sich kein Stück und sitzt bombenfest. So soll es sein. Wir sind zufrieden und gönnen uns einen Grog.

Über Nacht und am nächsten Vormittag jagt ein windiger Hagelschauer den nächsten, aber der Vulcan hält.

„2°C und Hagel- und Schneeregenschauer.“

„2°C und Hagel- und Schneeregenschauer.“

Erst spät am Nachmittag gehen wir ankerauf. Die dick lehmbesetzte Fluke zeigt, dass er sich wohl vollständig eingegraben haben muss. Wir sind zufrieden und fahren glücklich wieder zurück nach HHafen.

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54° 22′ 20,4″ N, 11° 00′ 15,7″ E