Der Preikestolen


Auch unser ausgiebiger Mittagsschlaf kommt nicht ganz gegen unsere Müdigkeit an. Die letzte Nacht war schon etwas heftig. Aber wir liegen – völlig ungeplant – Sonntagnachmittag fast ganz allein im Gjestehavn von Jørpeland. Als wir gegen Mittag einliefen, kam uns ein Schiff nach dem anderen entgegen. Jetzt fragen wir uns, wo die hier bloß alle gelegen haben könnten. Es waren alles Norweger, die uns entgegen kamen und die wohl hierher ihren Wochenendtrip gemacht hatten. Jetzt sind wir zusammen mit einem Polen die einzigen Gäste im Hafen. Da haben wir ganz viel ungeplantes Glück gehabt, denn der Hafen passt für gut 10 Schiffe, aber aber nicht für 40, und die sanitären Anlagen sind mit 2 Toiletten und 2 Duschen maximal für 2er Crews auf jedem der 10 Schiffe ausgelegt.

Der Wettercheck am Sonntagabend sagt, Montag ist Ruhetag bei diesigem Regenwetter und Dienstag wird dann bei wolkigem Sonnenwetter der Preikestolen erklommen. Das ist auch gut so, denn uns beiden ist jetzt schon mal etwas nach Ruhetag.

„Wild entschlossen an der Bushaltestelle.“

„Wild entschlossen an der Bushaltestelle.“

Als ich dann am Montag früh das Preikestolen-Aufstiegswetter nochmals checke, ist es allerdings genau umgekehrt. Montag ist nun sonnenwolkiges Aufstiegswetter und Dienstag diesiges Dauerregenwetter. Mit dieser „guten Botschaft“ wecke ich Astrid um 8:20, denn um 9:40 geht der Bus ab Jørpeland Kai. Vielleicht in weiser Voraussicht entfällt bis auf Zähneputzen und Deo die restliche Morgentoilette mit Duschen & so aus. Um 9:35 stehen wir mit Frühstück im Bauch und prall gefülltem Rucksack an der Bushaltestelle.

„Die 2te Etage im Bus biete ungeahnte Ausblicke.“

„Die 2te Etage im Bus biete ungeahnte Ausblicke.“

Zwei Minuten, nachdem uns der Bus an der Preikestolhytta entlässt, wo der eigentliche Aufstieg beginnen soll, treffen uns auch schon die ersten Tröpfchen der kommenden Sintflut, die uns in den nächsten 5 Stunden ohne jede nennenswerte Unterbrechung dauerduschen soll. Kurzentschlossen ziehen wir unsere Regensachen über, die wir nur für den unwahrscheinlichen Fall eines kleinen Regenschauers doch mitgenommen haben. Schließlich ist ja sonnenwolkiges Aufstiegswetter angesagt, was ja auch prima passen würde, denn die leichten, aber dichten Fahrradregensachen, haben wir ja eh zuhause vergessen.

„Das Tröpfeln ist schon etwas stärker geworden.“

„Das Tröpfeln ist schon etwas stärker geworden.“

„Die erste Stufe des Aufstiegs ist geschafft!“

„Die erste Stufe des Aufstiegs ist geschafft!“

Als wir hochmotiviert und wild entschlossen, den paar Tröpfelchen stoisch zu trotzen, unseren Anstieg beginnen, stehen verstreut unter den Dächern der verschiedenen Hütten und Bushaltestellen einige Aufstiegsunentschlossene. Nur ein weiteres kleines Trüppchen Übermotivierter läßt sich durch unsere fraglose Entschlossenheit mit in den stärker werdenden Regen ziehen. So stapfen wir tapfer den ersten Anstieg hoch, um kurz darauf durch die Regenschleier einen letzten schemenhaften Blick auf den Busparkplatz und die Preikestolenhytta zu werfen.

„Weg und Bach verschwimmen. Der Bach scheint zu gewinnen.“

„Weg und Bach verschwimmen. Der Bach scheint zu gewinnen.“

Nach ca. 1/3 der Wegstrecke kommen uns 3 norwegische Outdoor-Survival-Experts entgegen. Die können da nicht vor uns hoch gelaufen sein und schon wieder runterkommen! Aber nach Aufgeben und Umdrehen sehen die und ihre Rucksäcke auch nicht aus. Also frage ich munter: „Hiho, how was the sunrise this morning?“ „Oh, it was a marvellous sunrise…. only a bit behind the clouds!“ Die Drei haben hinter einem Felsen in der Nähe des Preikestolen übernachtet und sehen, dass muss ich zugeben, wesentlich outdoor-spezialistischer aus, als ich mich jemals gefühlt habe. Zum ersten Mal keimt der Gedanke in mir auf, dass es vielleicht doch eine ganz gute Idee war, die Idee mit der meditationsverdächtigen Sonnenaufgangssession auf dem Preikestolen selbst auf einen späteren, noch unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben.

„Durch Hochmoore, über Wildbäche und immer weiter hinauf.“

„Durch Hochmoore, über Wildbäche und immer weiter hinauf.“

Während wir unseren Weg weiter nach oben suchen, sucht sich ein Bächlein, das sich üppig aus der nun ungehemmt niederprasselnden Sintflut nähren kann, seinen Weg auf demselben Pfad abwärts. Dies ist auch ungefähr der Zeitpunkt, als das maximale Wasseraufsaugvermögen unserer Jeans erreicht ist und ein kleines Rinnsal Regenwasser versucht, über die Socken und die Wanderschuhe zu entkommen, was ihm allerdings nicht gelingt, denn der Schuh ist eine Sackgasse, weil echte Wanderschuhe eben von außen, wie auch von innen wasserdicht sind.

„Sommerurlaub für Fortgeschrittene, nur etwas für echte Wasserratten.“

„Sommerurlaub für Fortgeschrittene, nur etwas für echte Wasserratten.“

„Astrid trotzt den Unbilden der Natur und schnurrt wie ein Schweizer Uhrwerk den Berg hinauf. Waterproof bis 604m!“

„Astrid trotzt den Unbilden der Natur und schnurrt wie ein Schweizer Uhrwerk den Berg hinauf. Waterproof bis 604m!“

Wie gut wäre auch es gewesen, wenn wir uns dieses Jahr schon mal irgendwie sportlich betätigt hätten, aber es war eben ein Bastelfrühjahr, ohne jede sportliche Betätigung. Wären wir wenigsten etwas trainiert, wären wir die teilweise riesigen Stufen des wirklich toll angelegten Weges leichtfüßig wie die Gämsen hinaufgetänzelt. So aber mühen wir uns Stufe um Stufe redlich ab und je mehr Stufen wir erklommen haben, desto intensiver wird unser Abmühen mit der nächsten. Ab und an kommen uns noch einige Wanderer entgegen. Die sehen allerdings eher nach Aufgeben und Abbruch aus und nicht nach Übernachtung im „nowhere“. Immerhin geben uns diese Abbrecher immer mal wieder die Gelegenheit zu einer willkommenen Verschnaufpause, die wir ganz wunderbar mit der großherzigen Freundlichkeit des Durchlassens tarnen können.

„Treppe, Wasserfalle und Astrid sind eins!“

„Treppe, Wasserfalle und Astrid sind eins!“

Nur einmal verschlägt es uns dann doch die Sprache, das ist so ungefähr der Zeitpunkt, als sich ein erstes Rinnsal frischen Regenwassers seinen Weg vom Rucksack in meine Unterhose sucht. Da stehen 4 Norweger …. Norweger können wir an 2 Dingen sehr einfach identifizieren: 1.) immer wenn uns nach Faserpelz und langer Hose zumute ist, dann laufen die in T-Shirt und kurzer Hose herum und 2.) sprechen die eine Sprache, die weder schwedisch noch dänisch klingt. Das trifft zwar grundsätzlich auch auf Engländer zu, aber Engländer sind dann rotgefroren und tragen FlipFlips oder sonstige Trittchen zu Primark-Klamotten, Norweger hingegen sind gesund gebräunt und tragen Outdoor-Klamotten. … Also da stehen eben 4 Norweger, 3 Männer und eine Frau und trocknen sich nach einem Bad im Bergsee ab, sofern das überhaupt bei dem sintflutartigen Regen geht. Ich bin mir jetzt absolut sicher, dass ich ein echtes Weichei bin, denn selbst strahlendster Sonnenschein hätte mich nicht auf die Idee gebracht, hier mein Morgenschwimmerchen zu machen.

„Nur noch wenige Meter trennen uns...“

„Nur noch wenige Meter trennen uns…“

„… vom Preikestolen. Finstere Felsspalten tun sich auf.“

„… vom Preikestolen. Finstere Felsspalten tun sich auf.“

Nachdem sich schon lange kein einziger trockener Faden mehr in unseren Klamotten findet, erreichen wir den Preikestolen und sehen … NICHTS. Nichts außer der schönsten norwegischen Regenwolke, ever! Teilweise ist der Wolkennebel so dicht, dass wir das Ende des Felsens nicht mehr sehen können.

„Der Preikestolen. In den Prospekten sieht er anders aus, aber er ist es!“

„Der Preikestolen. In den Prospekten sieht er anders aus, aber er ist es!“

„Geschafft!!!!! Helden des Wasserbergsteigens!“

„Geschafft!!!!! Helden des Wasserbergsteigens!“

Mit uns drängen sich etwa 20 weitere Preikestolen-Aufstiegshelden an der Felswand, um dem prasselnden Regen erfolglos zu entgehen und warten auf die angekündigte Sonne. Die Stimmung ist aber insgesamt hervorragend und lustig, denn bekloppter kann es einen wohl kaum auf dem Preikestolen treffen. So kaut jeder irgendwie auf seiner nicht mehr ganz so krossen Lunch-Stulle herum und wir verdrücken zusätzlich noch unsere inzwischen etwas derangierten Zimtschnecken aus Flekkefjord.

„Boah, wat geht das hier tief runter. Sehen kann man nichts, aber wir wissen, dass es ganz schön tief runter geht.“

„Boah, wat geht das hier tief runter. Sehen kann man nichts, aber wir wissen, dass es ganz schön tief runter geht.“

„Tiefenentspannung!“

„Tiefenentspannung!“

„Nass und glücklich!“

„Nass und glücklich!“

Die Sonne läßt sich nicht sehen und uns wird durch die Rumsteherei langsam kalt. Allerdings zögern wir noch etwas, den Rückweg anzutreten, denn es könnte ja vielleicht doch noch sein, dass die Sonne urplötzlich durchbricht und die ganze Szene in ein gleißend wärmendes Sonnenlicht taucht. Wie ärgerlich wäre es dann, wenn wir das alles nur noch von unten sehen könnten, denn zu einem nochmaligen Aufstieg fehlt uns jetzt schon definitiv die Kondition. Dann brechen wir doch auf. Der Strom der Bergziehenden hat enorm zugenommen. Wie muss das hier nur sein, wenn sich jetzt bei diesem Scheißwetter schon solche Massen hier hochquälen. Abgesehen von einigen richtig gekleideten Bergwandernden sind wir mit unserer inzwischen vollkommen durchgeweichten Leichtwetterbergwanderbekleidung noch ganz gut ausgerüstet. Teilweise sind die Leute mit kurzen Hosen und Blüschen unterwegs und triefen wie die begossenen Pudel. Einzelne Busladungen erkennt man an den verschieden farbigen Regenponchos im trendigen Mülltütendesign. Aber das ist in jedem Fall besser als nichts. Besonders gut gefällt uns eine Busladung von Japanern, die mit ihren weißen Regenponchomülltütenumhängen wie eine Schulklasse von Nachtgespenstern auf Klassenausflug aussieht.

„Der Rückweg erinnert an den Hinweg. Wie kommt das nur?“

„Der Rückweg erinnert an den Hinweg. Wie kommt das nur?“

Dem Tunnelblick unseres unbeugsamen Aufstiegswillens ist eindeutig entgangen, dass der Weg doch ziemlich lang ist. Als wir dann endlich wieder am Busparkplatz ankommen, hat auch der Regen fast aufgehört. Wir haben also die schlimmste Zeit am besten ausgenutzt! Das muss man auch erst einmal hinbekommen. Da kommt es schon auf ein ausgefeiltes Wettertiming an.

Der Busfahrer ist noch derselbe von heute Morgen. Obwohl eigentlich für diese Tour kein Stopp in Jørpeland vorgesehen ist, stoppt er selbstverständlich für uns bei der PINCOYA am Steg in Jørpeland. Er fährt uns auch „as close as possible“ an unseren Steg, da ist es egal, ob da eine Haltestelle ist oder nicht.

Auf der PINCOYA legen wir uns trocken und machen einen Bergwanderungs-Preikestolen-Trocknungs-Nachmittagsschlaf. Danach, zum Abendbrot, kommt dann die Sonne raus und entschuldigt sich, dass sie leider etwas spät dran ist, aber es wäre ihr leider auch etwas dazwischen gekommen.

„Da! Die Sonne! Der Hammer! Es gibt sie wirklich!“

„Da! Die Sonne! Der Hammer! Es gibt sie wirklich!“

„Alles trocknet …. in der Sonne … alles, sofern sie Zeit hat.“

„Alles trocknet …. in der Sonne … alles, sofern sie Zeit hat.“

dauergeduscht und patschnass zurück Jørpeland
59° 1′ 4,4″ N, 6° 2′ 31,0″ E