Ab in den Norden oder “more hot”


02.05.

Minija -> Smiltyne Start: 12:30 Ende: 18:20 Wind: NW 12 – 3 kn Distanz: 28,5 sm Gesamtdistanz: 545,5 sm

„von Minija -> nach Smiltyne“

„von Minija -> nach Smiltyne“

Laut Wettervorhersage soll es heute und morgen eher leichtwindig sein, bevor der Wind dann erst einmal bis zum Wochenende ganz einschläft, weil ein Hoch sich vorgenommen hat, sich bei uns hier breit zu machen. Gegen Hochs und die damit einherkommende Sonne haben wir nichts, nur wollen wir etwas weiter in den Norden. Richtig gut wäre es, wenn wir möglichst flott in den Rigaischen Meerbusen kommen würden.

„Hier im Memel-Delta ist es schon schön, wir hätten es hier gut noch etwas aushalten können.“

„Hier im Memel-Delta ist es schon schön, wir hätten es hier gut noch etwas aushalten können.“

Also müssen wir jeden Wind ausnutzen, solange er noch da ist. So fahren wir langsam und vorsichtig aus dem Memel-Delta wieder heraus. Einer der Segler aus Minija hatte uns noch erzählt, dass besonders im Frühjahr die Auwiesen des Deltas vollkommen überschwemmt sind. In diesen Zeiten schrumpfen die Gehöfte und eben auch der Yachtclub zu kleinen Inseln. Dann könnten sie auch gar nicht zu ihren Schiffen, um Winterarbeiten zu machen. Er sah das aber ganz pragmatisch, denn dann wären die Schiffe auch wirklich sicher und keiner könne sie klauen. Und der Commodore, der hier wohnt, ruft dann an, wenn man wieder herkommen kann.

„Die Dünen sehen nach Sommer aus, aber im Wind ist es lausig kalt.“

„Die Dünen sehen nach Sommer aus, aber im Wind ist es lausig kalt.“

„Die Weite des Haffs ist erstaunlich. Genug Platz für viel Natur. Oben ein Seeadler, der einige Zeit über uns seine Kreise zog.“

„Die Weite des Haffs ist erstaunlich. Genug Platz für viel Natur. Oben ein Seeadler, der einige Zeit über uns seine Kreise zog.“

Hart am Wind segeln wir im Haff in Richtung Norden. Nicht immer passt es mit den Tonnen und dann schieben wir uns eben mal kurz „dänisch“ (mit Motor) ums Eck durchs Fahrwasser. Kurz vor Klaipeda verläßt uns der Wind aber fast ganz und der Rest des zarten Lüftchens dreht auf Nord. Wir checken noch einmal das Wetter anhand neuer Grib-Files. Eigentlich wollten wir direkt auf die Ostsee und uns von dem versprochenen, leichten Südwest langsam in Richtung Norden schieben lassen. Das sieht nun aber gar nicht mehr danach aus, der Wind hat Feierabend. So beschließen wir in den Hafen des Yachtclubs Smiltyne zu fahren. Den wollten wir uns ja ohnehin als Alternative zum Kastellhafen mal ansehen.

„Ein besonderer Frachter vor Klaipeda. Eigentlich ist nicht der Frachter besonders, sondern das Photo. Es sind eigentlich zwei Photos, der Schnitt verläuft rechts neben den beiden gelben Rohren.“

„Ein besonderer Frachter vor Klaipeda. Eigentlich ist nicht der Frachter besonders, sondern das Photo. Es sind eigentlich zwei Photos, der Schnitt verläuft rechts neben den beiden gelben Rohren.“

In Smiltyne hat die Saison genau gestern, am 1. Mai begonnen. Man ist noch nicht so recht fertig, aber das wird. Der Yachthafen von Smiltyne ist der krasse Gegensatz zu dem Kastellhafen auf der anderen Seite. Alles ist ordentlich renoviert, die Steganlagen sind fast neu und rund um den Hafen stehen zweigeschossige Reihenhäuser mit Ferienwohnungen. Der Hafenmeister will von uns 14 € und alles ist inklusive. Im Kastellhafen haben wir 22 € gezahlt und der Strom ging mit einem Euro je kW/h extra.

„Oben Klaipeda und unten Smiltyne bei Nacht.“

„Oben Klaipeda und unten Smiltyne bei Nacht.“

„Zweimal der Hafen von Klaipeda bei Nacht.“

„Zweimal der Hafen von Klaipeda bei Nacht.“

Aus dem Hafenmeisterbüro werden wir fast direkt von dem Besitzer des italienischen Restaurant darunter abgegriffen. Er hat einen neuen Pizzaofen und eine neue Mannschaft in der Küche und im Restaurant und wir müssten nun seine Testpizzakunden sein. Ob denn eine Pizza Parma recht sei? Wir gucken etwas überrascht, aber er besteht darauf, schließlich müsste sein neues Personal und der neue Ofen noch etwas Routine bekommen. So sind wir die Testpizza 15 und 16 aus diesem Ofen. Besteck gibt es leider noch nicht, das wäre noch nicht geliefert worden, deswegen müssten wir mit den Fingern essen, aber die Servietten wären schon da, also alles kein Problem. So bekommen wir in den letzten Sonnenstrahlen unsere Testpizzas serviert. Der Teig hätte noch etwas krosser sein können, aber geschmacklich sind sie schon 1a. Und zack… geht die „etwas krosser Anweisung“ in einem wahrscheinlich Italienisch-Litauisch-Englisch-Gemisch in die Küche. Auch diese Zutaten stimmen und wir müssen schmunzeln und sind wirklich froh, hier einen Stopp eingelegt zu haben.

Im Cockpit nehmen wir dann noch einen Rotwein auf die letzten beiden Tage und darauf, dass wir so nette, gastfreundliche und einfach unkomplizierte Menschen getroffen haben.

in Smiltyne
55° 41′ 48,9″ N, 21° 07′ 16,0″ E


03.05.

Smiltyne -> Pavilosta Start: 6:00 Ende: 18:30 Wind: E – (W) – E 15 – 27 – 5 kn Distanz: 80,3 sm Gesamtdistanz: 625,8 sm

„von Klaipeda -> nach Pavilosta“

„von Klaipeda -> nach Pavilosta“

Als wir dem Hafenmeister gestern erzählten, dass wir gleich frühmorgens wieder aufbrechen werden, sagt er: „Oh, there will be no wind, it’s getting more hot!“ Und da merken wir, dass unser Wärmeempfinden definitiv noch nicht auf dem baltische Niveau angekommen ist. Wir haben die 12 Grad heute trotz Sonne nicht eben als „hot“ empfunden. Aber „more hot“ soll uns recht sein, vielleicht werden es ja morgen „more hotte“ 15 Grad.

Um 5:30 checke ich die Lage, hole Wetter, wecke Astrid und um 6:00 laufen wir aus. Wie gewünscht melden wir uns bei der Coast Guard ab, aber der Wachhabende macht auch noch nicht gerade den frischesten Eindruck. „Yes two, ah German, ok north, have a nice trip — ah…yes, good bye ?.

„Der Abschied von Klaipeda“

„Der Abschied von Klaipeda“

Es ist trüb und sieht nach Regen aus und wir vermuten, dass das „more hot“ sich verspätet hat und nun vielleicht erst gegen Mittag eintrifft. In jedem Fall fahren wir mit einen schönen 4er Ost immerhin 7,5 kn auf der fast glatten See in Richtung Norden.

Diesmal trifft es Astrid. Sie legt sich um 8:00 erst einmal etwas auf’s Ohr und ich fahre geradeaus. Das kann der Schiffsjunge nämlich ganz gut ?, wenn der Autopilot steuert ?. Das geht auch so bis 9:00 gut. Das Barometer fällt mit etwas mehr als einen hPa pro Stunde und im Südwesten grummelt es. Erst versuche ich das Grummeln zu ignorieren, gucke dann aber doch mal auf’s Regenradar. Hmm, eine lustige Gewitterfront holt aus Südwesten auf. Ich wecke Astrid, denn am Horizont zeigt sich schon etwas, was aussieht wie eine Böenwalze. Das Barometer fällt weiter und der Wind hat inzwischen die 5 Beaufort hinter sich gelassen und knabbert an der 6. Irgendwie sieht das schon bedrohlich aus und das Donnergrollen hört sich auch irgendwie unschön an. Mit Vollzeug fahren wir inzwischen durchaus mal deutlich über 8 kn.

„Die erste Gewitterfront und der Windsprung.“

„Die erste Gewitterfront und der Windsprung.“

Da die Gewitterfront recht schnell ist, beeilen wir uns auch mal und spulen schnell unser Schwerwetterprogramm ab. Entkommen können wir dem Mist ja eh nicht, also wird’s einen auf die Mütze geben.
Erstes Reff im Groß, Backstagen nach hinten und Starkwindfock. Das passt. Es beginnt zu regnen und der Wind frischt auf und knabbert nun an der 7 herum. Die Wellen haben auch bemerkt, dass nun was passiert und machen auch gleich mit. Es schüttet inzwischen auch wie aus Eimern. Gut das wir uns im Decksalon verkriechen können. Herr Autopilot macht das da draußen schon. Wir sind schnell, entkommen aber der ersten Front nicht ganz. Dann ist der Wind plötzlich weg, um 5 Minuten später genau aus der Gegenrichtung mit gleicher Stärke zurückzukommen. Das Spielchen machen wir insgesamt 2x, denn nach der ersten dicken Gewitterfront kommt noch der kleine Bruder und der macht’s eben genauso wie der große. Weil der Wind sich bei dem anhaltenden Schüttregen knapp unter 7 Beaufort einpendelt, binden wir noch das 2te Reff ins Groß. Das ist in einigen Windlöchern etwas wenig, läßt uns aber ausgewogen vorankommen. So geht das den ganzen Tag und wir denken, dass wir uns das „more hot“ eigentlich doch anders vorgestellt haben.

„10.000 sm mit der PINCOYA“

„10.000 sm mit der PINCOYA“

Und… wir sammeln die 10.000ste Seemeile mit unserer PINCOYA ein. In 8 Sommern plus den ersten 3 Wochen dieser Saison, haben wir das zusammengesegelt. Das sind im Schnitt immerhin 1250 sm pro Saison und eben 10.000 sm Erfahrung, aus denen die vielen kleinen und auch einige großen Veränderungen entstanden sind.

„Litauen geht, Lettland kommt“

„Litauen geht, Lettland kommt“

Um 17:00 hat das Wetter keinen Bock mehr auf Wind, Gewitter und Alarm und schaltet alles ab. Fast wie ein unangekündigter Generalstreik, nichts geht mehr. Eben noch sind wir mit der Sturmfock und dem 2ten Reff 6,5 bis 7,0 kn gefahren und nun schaukeln wir nur noch vor uns hin. Wir gucken uns um, aber weit und breit ist kein Lüftchen mehr zu sehen. Nur nach Nordosten zieht einen dunkle Wolkenwand ab. Hmm… was machen?

„Schauerlicher Rest und Pavilosta voraus“

„Schauerlicher Rest und Pavilosta voraus“

Wir reffen aus und trocknen die Segel. Und das Barometer steigt und steigt und steigt wieder. Dann gehen wir nach Pavilosta rein. Immerhin haben wir in knapp 12 Stunden 80 sm gemacht. Das ist ja auch schon mal gar nicht schlecht.

„Pavilosta… alter Wachturm, neuer Wachturm.“

„Pavilosta… alter Wachturm, neuer Wachturm.“

So gern wir die Litauer und Letten auch haben, aber eine passende Relation zwischen Hafengebühr und gebotener Leistung muss hier wirklich noch gefunden werden. In Pavilosta zahlen wir an einem morschen Steg (schwupps ist der Fuß des Schiffsjungen weg), in einem Hafen ohne nennenswerte Sanitäranlagen und ohne Strom und einem Frischwasser mit kleinen braunen Flöckchen, volle 17,50 €. Das ist schonmal eine Nummer. Da braucht es viel Selbstbewußtsein, um das zu kassieren. Es scheint noch nicht wirklich angekommen zu sein, das hinter einem Preis auch eine dazu passende Leistung stehen sollte. Insgesamt sind Litauen wie auch Lettland ohnehin beim Preisniveau Deutschland dicht auf den Fersen. Und selbstverständlich fährt man auch zum Einkaufen nach Polen. Das hatten wir ehrlich gesagt nicht ganz so erwartet.

„Und da dachten wir erst, das oben ist unser Yachthafen...“

„Und da dachten wir erst, das oben ist unser Yachthafen…“

„… aber dann sind es die Container im Schatten der Wachtürme.“

„… aber dann sind es die Container im Schatten der Wachtürme.“

Der Hafen selbst reicht für einen Zwischenstopp durchaus aus, aber auf Urlaubsgedanken oder gar einen Tag mehr als notwendig, kommt man ganz sicher nicht.

in Pavilosta
56° 53′ 17,8″ N, 21° 10′ 17,4″ E


04.05.

Pavilosta -> Vendspils Start: 11:30 Ende: 19:40 Wind: W – SW 5 – 9 – 4 kn Distanz: 36,4 sm Gesamtdistanz: 662,2 sm

„von Pavilosta -> nach Ventspils“

„von Pavilosta -> nach Ventspils“

Nun aber wirklich! Die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel und bei einem Blick aus den Fenstern des Decksalons unserer dicken Erna bekommt man fast schon karibische Gefühle, wenn da nicht so ein ehemaliger sowjetischer Wachturm stehen würde. Trotzdem … das „more hot“ muss nun angekommen sein.

Draußen ein leichter Wind aus Südwest bei molligen 4 Grad. Als Astrid etwas sagt, hüllt ein weißer Atemnebel ihren Kopf beim Sprechen ein. Ok. Aber kein Rauhreif und das Wasser ist noch flüssig, das ist in der Karibik ja auch so! Also … na ja … definitiv „more hot“ als … na ja, ich weiß auch nicht ?!

„Tolles Wetter, Glitzerwasser, aber wenig Wind.“

„Tolles Wetter, Glitzerwasser, aber wenig Wind.“

Aber die Wettervorhersage sagt für die nächsten 14 Tage nichts anderes als strahlendsten Sonnenschein voraus, was die Tageshöchsttemperaturen in den nächsten Tagen in den 2-stelligen Bereich katapultieren soll. Was wollen wir mehr? Nur noch etwas Wind wäre gut, damit wir in den Rigaische Meerbusen kommen.

Die Westküste Litauens und Lettlands ist ja vielleicht etwas für Strandurlauber, aber für Segler doch eher eine Transitstrecke zwischen dem Kurischem Haff und dem Rigaischen Meerbusen. Es gibt nur ganz wenige Häfen, die alle eher den Charakter von Durchgangs- oder Schutzhäfen haben. Einzige Ausnahme ist da noch Smiltyne, aber das gehört ja eigentlich noch zum Kurisches Haff. Das Kurische Haff bildet hier in jedem Fall die große Ausnahme, dort ist es wunderschön und man kann sich im Haff auch als „großer“ Wassersportler sehr lange aufhalten und erholen. Besonders wenn man das Ankern liebt.

So brechen wir in Pavilosta schnell wieder auf. Der Wind ist zwar schwach, aber wir segeln auf Sonnenscheinkurs. Die Sonne hat durchaus Potential, im Windschatten können wir sogar im T-Shirt sitzen, obwohl die Capitana schnell wieder den Fleece-Pullover rauskramt. Aber wehe, man steckt die Nase raus, denn unser Badeentchen tut sich sehr lange schwer damit, die 5° C zu überwinden. Und das Entchen misst nicht die Wassertemperatur, was man ja bei einem Badeentchen durchaus vermuten könnte, nein, es misst diesmal die Lufttemperatur, denn das Wasser hat schon satte 8° C.

So plätschern wir Stunde um Stunde vor uns hin, trocknen alle Sachen von gestern, backen 2 Brote und lassen in der übrigen Zeit den Lieben Gott mal nen guten Mann sein. Das ist schon entspannend. Das merken wir jetzt wieder, denn so ein rauer Tag auf See wie gestern zerrt doch schon irgendwie an den Kräften.

„Inzwischen sind wir ziemlich autark. Echte Vollkornbrote haben schon was. “

„Inzwischen sind wir ziemlich autark. Echte Vollkornbrote haben schon was. “

6 Seemeilen vor Ventpils verläßt uns der Wind und wir müssen unsere Hoffnung begraben durch die Nacht bis Ruhnu zu kommen. Ruhnu ist die kleine Insel mitten im Rigaischen Meerbusen, die dort so rumliegt, als ob sie aus Versehen vergessen wurde.

„Ventspils voraus.“

„Ventspils voraus.“

In Ventspils erwartet uns wieder ein Transithafen, aber man hat versucht, es hier schon viel netter zu machen. Für den Yachthafen wurde ein kleines Eckchen des alten Fischereihafen umgebaut. Dort hat man gemacht, was geht, aber das Drumherum bleibt eben doch ein Industriehafen, der in Teilen nicht mehr genutzt wird und so auch aussieht. Aber das Eckchen Yachthafen ist ok, doch 25 € sind dafür trotzdem schon recht üppig. Die wird man nur gerne zahlen, wenn man gerade vor einer wütenden Ostsee in den einzigen rettenden Hafen weit und breit geflüchtet ist. Und das kann man in Ventspils machen, denn diesen Hafen kann man als Segler auch bei richtig schlechtem Wetter anlaufen. Das ist bei den anderen Häfen an der Westküste Litauens und Lettlands definitiv ab Sturmstärke aus westlichen Richtungen nicht mehr möglich. Aber hier sollte es gehen.

„Die Mole sieht wohl nicht ohne Grund so aus ? !“

„Die Mole sieht wohl nicht ohne Grund so aus ? !“

„Der Yachthafen von Ventspils.“

„Der Yachthafen von Ventspils.“

in Ventspils
57° 23′ 37,9″ N, 21° 32′ 1,5″ E