Ventspils und die Nacht der Geduld


Ventspils -> Ruhnu Start: 12:40 (05.05.) Ende: 8:45 (06.05.) Wind: irgendwie West und irgendwie verdammt wenige Knötchen Distanz: 72,2 sm Gesamtdistanz: 734,4 sm

„von Ventspils -> nach Ruhnu“

„von Ventspils -> nach Ruhnu“

„Wir verlassen die Marina von Ventspils“

„Wir verlassen die Marina von Ventspils“

Ruhnu macht es uns nicht gerade leicht. Es hüllt sich in Windstille, was unsere Geduld ziemlich auf die Probe stellt. Bis Ovisi, der nordwestlichen Ecke Lettlands geht’s noch so, allerdings wäre auch schon auf dieser Strecke der ein oder andere Regattasegler dem allumfassenden Leichtwindwahnsinn anheim gefallen und hätte sich entweder am Großfall seiner X-Yacht erhängt oder wäre splitternackt und wirres Zeug brabbelnd in die eiskalten Fluten des Poseidons gesprungen.

„Die Sonne brennt gnadenlos vom wolkenlosen Himmel, nur die Windstille macht die 8° C noch erträglich.“

„Die Sonne brennt gnadenlos vom wolkenlosen Himmel, nur die Windstille macht die 8° C noch erträglich.“

Wir aber halten durch, obwohl man schon zugeben muss, dass wir uns immer wieder dabei ertappen zu überlegen, was man denn nun noch essen könnte. Wahrscheinlich ein Phänomen größter Geduldsanspannung, was allerdings der Badehosenfigur auch nicht sehr zuträglich ist. Aber … egal … es ist ja schließlich noch kein Badewetter, also … was essen wir denn jetzt mal?

„Doch manchmal, ganz manchmal, steht der Parasailor doch.“

„Doch manchmal, ganz manchmal, steht der Parasailor doch.“

In der Irbenstrasse verdrückt sich allerdings der restliche Wind zusammen mit der Sonne. Nun ja, und wenn schon an der Westküste Litauens und Lettlands die Häfen nur in einer homöopathischen Unterdosis verteilt wurden, so gibt es hier gar keine mehr. Nullkommanichts, nichts, wo man sich auch nur für eine Nacht verdrücken könnte. Und für ein „Abwarteankern“ ist die Irbenstrasse selbst auch nicht gerade das richtige Plätzchen. Also werfen wir den Motor an und beschließen, uns hinter das Kap Kolka zu verdrücken, dort den Anker zu werfen und abzuwarten.


Da die Nacht lang und ziemlich abwechslungslos ist, kann ich noch schnell mal etwas zu Ventspils schreiben, denn Ventspils hat uns überrascht. Genauso wie uns Klaipeda überrascht hat, nur genau andersherum. Da wir noch etwas Bargeld brauchen und auch noch etwas Grünzeug einkaufen wollen, gehen wir vormittags schnell nochmal in die City. Viel erwartet haben wir von Ventspils nicht, denn schließlich war Ventspils schon zu sowjetischen Zeiten ein großer Öl- und Industriehafen.

„Der Ventspils Yachthafen.“

„Der Ventspils Yachthafen.“

Aber als wir das Hafengeländer gerade mal wenige Meter hinter uns gelassen haben, laufen wir schon durch einen Park mit allerlei Skulpturen und durch hübsche Straßen, an denen sich ein liebevoll renoviertes Haus an das nächste reiht. Es sind alte Häuser und an den wenigen Ecken, die noch nicht fertig sind, sieht man, dass da richtig viel Arbeit drinsteckt.

„Kurz hinter der letzten Werft… ein Park!“

„Kurz hinter der letzten Werft… ein Park!“

„Hübsch angelegt und mit vielen Skulpturen. Und natürlich auch hier, einem großen Kinderspielplatz.“

„Hübsch angelegt und mit vielen Skulpturen. Und natürlich auch hier, einem großen Kinderspielplatz.“

Irgendwie erinnern diese Straßenzüge etwas an Dänemark, nur die Häuser sind etwas größer und auch der Baustil ist etwas anders. Wirklich angenehm überrascht erweitern wir spontan unsere Runde und laufen etwas in Ventspils herum. Dabei kommen wir an einem Kinderspielplatz vorbei, der keine Kinderwünsche offen läßt und in anderen Städten wegen seiner Größe wohl schon eher als Vergnügungspark eingestuft würde. Und der Spielplatz ist voll mit Kindern, jungen Eltern und Omas und Opas. Große Schilder an den Eingängen verbieten hier alles, außer Spielen und Kind sein. So darf auf dem Spielplatz natürlich kein Alkohol getrunken werden, aber, und das überrascht uns schon, es herrscht auch Rauchverbot unter freiem Himmel.

„In den Straßen von Ventspils.“

„In den Straßen von Ventspils.“

So streifen wir noch etwas durch Ventspils und sehen nur ganz wenige schrabbelige Häuser. Selbst die ehemals sowjetischen Einheitswohnblocks wurden renoviert und mit etwas Farbe der kommunistischen Betontristesse und dem leninistischen Einheitsgrau entrissen.

„Fast alle Spuren aus der sowjetischen Zeit sind beseitigt worden und man hat es sich hier wirklich hübsch gemacht.“

„Fast alle Spuren aus der sowjetischen Zeit sind beseitigt worden und man hat es sich hier wirklich hübsch gemacht.“

Ventspils ist definitiv im Aufbruch. Ganz anders als der Aufbruch in Danzig, aber hier passiert auch etwas. Und als wir im Supermarkt einkaufen, haben wir eher das Gefühl, bei Realkauf zu sein als in einem Konsum kurz nach der Wende. Diese kleinen Details sagen vielleicht mehr über die normal gewordene „Westlichkeit“ aus als viele andere Dinge.

Auf dem Rückweg sprechen wir noch mit dem Hafenmeister. Man hat auch im Hafen noch einiges vor und es soll definitiv nicht bei den wenigen Plätzen in der südwestlichen Ecke des Fischereihafens bleiben. Platz genug ist ja noch da und wenn man es pfiffig anstellt und sich vom Industriehafen etwas absetzt, dann kann das tatsächlich ganz hübsch werden. Und einen Bonus hat die Westküste Litauens und Lettlands ja unbestritten. Hier findet man kilometerlang den allerschönsten Sandstrand, den man zudem auch noch kilometerweise ganz für sich allein hat. Nur in der Nähe der wenigen Küstenorte läuft man Gefahr, einen Strandnachbarn zu treffen. Bleibt nur zu hoffen, dass dann auch genügend Gäste den Weg bis hierher finden, denn ein Katzensprung ist es ja selbst von Schweden aus nicht.

„Ventspils ist eine Stadt des -international cow projects- (siehe den Link unten) und die Kühe stehen mitten im Frühlingserwachen.“

„Ventspils ist eine Stadt des -international cow projects- (siehe den Link unten) und die Kühe stehen mitten im Frühlingserwachen.“

Die Cow-Parade…

Als wir so durch Ventspils laufen, bemerken wir auch, dass wir uns seit fast 6 Wochen in einem andauernden Frühlingserwachen bewegen. So lange haben für uns noch nie die Forsythien in voller Blüte gestanden, die Osterglocken und Tulpen geblüht und die Büsche und Bäume zaghaft ihr erstes Grün gezeigt. Wir ziehen wirklich mit den ersten Frühlingsboten dem zurückweichenden Winter nach Nordosten hinterher.


Fünf Seemeilen vor unserem geplanten Ankerplatz hinter Kap Kolka spielt uns der Wind einen Streich. Plötzlich frischt er etwas auf, gerade soviel, dass wir erneut die Hoffnung fassen, unter Segeln Ruhnu zu erreichen. So lockt er uns auf Kurs Ruhnu, schläft aber genau in dem Moment wieder vollständig ein, als wir schon so weit sind, dass eine Rückkehr zu dem Ankerplatz auch irgendwie blöd ist. Also tuckern wir wieder unter Motor weiter nach Ruhnu.

„Oben geht die Sonne unter und unten wieder auf. Und dazwischen ein Kreuzfahrer in der nordischen Nacht.“

„Oben geht die Sonne unter und unten wieder auf. Und dazwischen ein Kreuzfahrer in der nordischen Nacht.“

Die Nächte werden nun auch zusehends nordisch. Noch lange nach Sonnenuntergang hält die Dämmerung den Tag fest. Als ob die Sonne ihn nach den langen Winternächten nun nicht mehr hergeben will. Und die ganze Nacht bleibt ganz im Norden am Horizont ein zarter Schimmer erhalten. Diese Dämmerungs – und Nachtstimmungen sind einer der Hauptgründe, warum wir so gerne im Norden unterwegs sind. Und da ist es fast schon egal, wie kalt es ist. Und Mittsommer kommt ja erst noch und dann werden wir noch viel weiter im Norden sein. Da freuen wir uns schon die ganze Zeit drauf. Auf eine Sonne, die den Tag nicht richtig loslassen kann und die ganze Nacht neugierig über die Tischkante guckt, um nichts zu verpassen.

Als dann die Sonne aufgeht, beleuchten ihre ersten Strahlen einen Rigaischen Meerbusen, der aussieht, als ob er mit Frischhaltefolie abgedeckt wurde. Ölig träge schwappt das Wasser rings um uns her, ohne dass sich auch nur das kleinste Windkräuselchen zeigt.

„Estland kommt, Lettland geht. Denn Ruhnu gehört zu Estland und nicht zu Lettland, wie man eigentlich aus seiner geografischen Lage schließen könnte.“

„Estland kommt, Lettland geht. Denn Ruhnu gehört zu Estland und nicht zu Lettland, wie man eigentlich aus seiner geografischen Lage schließen könnte.“

„Windstille um Ruhnu.“

„Windstille um Ruhnu.“

„Überraschung im Hafen (oben links), erst im letzten Moment sehen wir das fast ganz unter Wasser liegende Rohr eines Saugbaggers, der in einer anderen Ecke des Hafen arbeitet. Das war knapp, hat aber dann doch gepasst.“

„Überraschung im Hafen (oben links), erst im letzten Moment sehen wir das fast ganz unter Wasser liegende Rohr eines Saugbaggers, der in einer anderen Ecke des Hafen arbeitet. Das war knapp, hat aber dann doch gepasst.“

auf Ruhnu
57° 46′ 53,8,4“ N, 23° 16′ 11,9″ E