Novembergrau


Am Samstagmorgen ist alles überfroren. Am unteren Ende der Skala unseres Badeentchens ist nur noch ein kleines, verschüchtertes, rotes Strichlein zu erkennen, das schon deutlich vor der 0°-Marke Halt gemacht hat.

„Verfroren“

„Verfroren“

Gestern Abend habe ich das Badeentchen noch schnell ins Cockpit gelegt. Seit Jahr und Tag hat es ja schon für uns selbstlos getestet, ob die Badetemperatur auch ausreichend schiffsjungen-kompatibel ist. Zugegeben – da hätte eigentlich auch eine Skala ab 16° C gereicht, aber es ist eben ein europäischen Kinderbadethermometer, und da es auch in Finnland verkauft wird, beginnt die Skala bei 0°C. Im finnischen Teil der Gebrauchsanweisung steht zudem, dass es auch bestens für finnische Eisschwimmer ?geeignet ist, denn für plantschende Winterbadefinnen reicht eine Skala ab Null eben auch, denn jenseits von Null wird das Wasser meist schnell unangenehm fest ?.

„Novembergrau“

„Novembergrau“

Auf und um die PINCOYA herum ist alles weiß überfroren und in der PINCOYA brummt unsere Doppelheizungsvariante. Vorn der Heizlüfter, hinten die Dieselheizung. Über Nacht heizen wir nicht, weil uns das Gebrumme auf den Keks geht. Also brauchen wir am Morgen die doppelte Power, um die frischen 4 Grad wieder auf wohnzimmertaugliche 17° aufzupimpen.
Selbst wenn die Temperaturen auf der PINCOYA in Richtung Gefrierpunkt unterwegs sind, schlafen wir in der Mittelkoje kuschelig warm. Da kommt uns die lauschige Enge der Mittekoje sehr entgegen, denn dort wird es schnell mollig warm, wenn wir uns erst einmal beide unter den Decken verkrochen haben.
Vom Rest der PINCOYA kann man das allerdings nicht sagen, denn die PINCOYA ist ja nicht isoliert. Zugegeben, das ist schon etwas blöd, aber wer hätte Ende 2009 schon gedacht, dass wir irgendwann einmal in frostigen Gefilden im Wasser überwintern. Solange es nicht richtig friert und wir in der Nacht eh nicht heizen, ist die fehlende Isolierung zu verschmerzen. Nur wenn man dann tagsüber heizt, dann geht doch schon eine ganze Menge der schönen Wärme viel zu schnell wieder verloren. Dann wären eine ordentliche Isolierung und vor allem doppelverglaste Fenster schon ganz schön. Aber egal, wir sammeln nun erst einmal einige Erfahrungen mit schwimmenden Überwinterungen, denn schließlich spukt ja auch immer noch eine Überwinterung auf den Lofoten in unseren Köpfen herum, und da ist es vielleicht gar nicht schlecht, wenn wir das Frieren erst einmal in Bremerhaven üben.

Dummerweise haben wir gestern auch noch unsere frisch reparierte Espressokanne im Kofferraum von Henry vergessen. Von Astrids Kopf ist seit einigen Minuten nur noch ein kleiner Hügel unter der Bettdecke zu sehen. Damit ist klar, wer den Espressokocher und die Brötchen holt und wer dann auch den Espresso kochen muss. Die Sohlen meiner Schuhe frieren bei jedem Schritt auf den Holzplanken des Stegs etwas fest. Das fühlt sich merkwürdig klebrig an. Dort wo nicht der raue Beton des Schwimmstegs etwas mehr Halt bietet, ist es ziemlich glatt. Ich halte mich auf den Stegen sicherheitshalber möglichst mal eher mittig. Das Wetter ist zwar klar und es scheint sonnig zu werden, aber es ist eben auch nicht gerade Badewetter.

Heute müssen wir endlich mal die Segel runternehmen. Das ist nun schon das dritte Wochenende, zu dem wir mit diesem Plan hochfahren. Die beiden letzten Versuche sind buchstäblich ins Wasser gefallen, aber dieses Wochenende soll es wenigstens am Samstag halbwegs trocken bleiben. Als ich mit der Espressokanne und den Brötchen zurückkomme, sieht es auch tatsächlich danach aus, dass unser Plan dieses Wochenende aufgehen könnte. Doch wenigstens der Rauhreif muss noch weg, sonst wird das auf dem Decksalon eine zirkusreife Nummer und einer von uns könnte am Ende doch noch baden gehen. Also warten wir erstmal ab, was aber auch nicht wirklich schlimm ist, denn so gibt es einen zweiten Kaffee und dann auch noch einen ersten Tee in unserer kuscheligen Mittelkoje.

„Schnell doch noch die Segel runter, warm ist es nicht gerade.“

„Schnell doch noch die Segel runter, warm ist es nicht gerade.“

Nur zögerlich erklimmen die Temperaturen den positiven Bereich. Kurz vorm Mittag beginnen wir die Segel abzuschlagen. Mitte Oktober hatten wir das letzte Wochenende, was man noch als trocken und sogar fast noch als etwas sommerlich bezeichnen konnte. Damals wollten wir auf keinen Fall die Segel herunternehmen, weil wir ja nochmal raus wollten. Das hat natürlich alles nicht mehr so recht geklappt, weil uns das normale Alltagsleben unglaublich schnell wieder mit sich gerissen hat. Und nun ist alles klamm und feucht und von trocken so weit entfernt, wie die Winter-PINCOYA von einer Sauna. Zuhause werden wir die Segel nacheinander im Wohnzimmer ausbreiten und trocknen müssen. Jeden Tag ein Segel. Morgens die Heizung auf Dauerbetrieb, Segel im Wohnzimmer ausbreiten, dann lange arbeiten und abends wieder zusammenlegen. Normale Wohnzimmer sind einfach zu klein, um Segel vernünftig trocknen zu können und gleichzeitig noch drumherum zu wohnen.

„Ein kleiner Schutz!“

„Ein kleiner Schutz!“

Nachdem die Segel in Henry verstaut sind, machen wir uns daran, über die PINCOYA die erste Plane zu spannen. Wenigsten das gröbste Winterwetter soll sie etwas abhalten. Speziell das Cockpit- und der Eingangsbereich müssen etwas mehr geschützt sein, es ist einfach nur blöd, wenn man gleich im Nassen steht und Regen und Schnee gegen die Salontür klatschen. So basteln wir uns einen Windfang “light”.
Es ist gar nicht so einfach, eine passende Konstruktion zu finden, die ausreichend sturmfest ist, aber auch das Regenwasser so abfließen lässt, dass sich keine Wasserbeulen bilden können. Irgendwann liegen dann aber die Abspannungen so von der Bugklampe zum Geräteträger, dass wir mit der Winsch ordentlich Knatter auf die Tampen geben können. Auf Fehmarn haben wir im Außenlager oft genug gesehen, wie schnell sich ein etwas stärkeres Lüftchen die normalen Baumarktplanen schnappt und zerfetzt. Deswegen haben wir eine 260g Plane mit verstärkten Ösen. Und die spannen wir noch richtig zur Reling ab, bevor wir zu Ebba und Burkhard fahren.

Ebba und Burkhard sind gerade aus Frankreich zurückgekommen, also genau daher, wo wir nächstes Jahr hin wollen. Außerdem waren die beiden schon zweimal runter bis Portugal und auch auf den Azoren. Da gibt es viel zu quatschen und viel zu erfahren und viel zu lernen. Und was kann schöner sein, als die neue Saison an einem grauen Winterabend bei einem Glas Rotwein in der warmen Stube zu planen?


in Bremerhaven im Jaich
53° 32′ 52,6″ N, 08° 34′ 11,6″ E