Seaport Marina Inverness – Peterhead


So langsam wird uns klar, dass wir einen blöden Fehler gemacht haben, als wir über das “Wann” entschieden haben, in den Caledonian Canal zu fahren. Wir haben nicht ein einziges Mal an die Gezeiten auf der anderen Seite, also in Inverness gedacht. Nicht mit einem einzigen Gedanken, als ob es sie gar nicht gäbe. Fährt man anders herum, also von Inverness nach Fort Williams, dann sind die Gezeiten mehr oder weniger egal, sobald man sich einen guten Zeitpunkt ausgesucht hat, um in Inverness einzufahren. In Corpach kann man immer raus, und wenn einem die Tide dort nicht gefällt, wirft man halt einfach gegenüber den Anker und wartet, bis es passt.

„Fast wie gemalt. Der Jet Stream. Leider lenkt er alles genau über uns rüber ...😟“

„Fast wie gemalt. Der Jet Stream. Leider lenkt er alles genau über uns rüber …😟“

Ganz so einfach ist das in Inverness nicht. Im Beauly Firth, dort wo der Kanal rauskommt, und im Moray Firth, in dem es hinter der Kessock Bridge weiter in Richtung Nordsee geht, gibt es kaum eine vernünftige Ankermöglichkeit. Der Beauly Firth ist ein flaches Etwas, in dem gar nichts geht. Er fällt großflächig trocken und mit den Gezeiten strömt es an den Stellen, wo noch genug Wasser zurückbleiben würde, wie blöde. Im Moray Firth könnte man noch im Nordosten ankern, das hängt aber sehr vom Wetter und der Windrichtung ab. In jedem Fall ist das kein Plätzchen, an dem man einige Tage abwarten möchte, um ein geeignetes Wetterfenster abzupassen.

„Die Seaport Marina im letzten (oder eben ersten) Stück des Kanals.“

„Die Seaport Marina im letzten (oder eben ersten) Stück des Kanals.“

So bleibt einem, nachdem man den Kanal verlassen hat, eigentlich nur die direkte Weiterfahrt. Doch die wiederum gelingt nur halbwegs vernünftig, wenn das Wasser nicht gerade maximal aufläuft. Und wann sind wir nun in Inverness, um aus dem Kanal zu fahren? Ja, genau, um 10:00 ist Niedrigwasser und die Springzeit sorgt immer noch für einen Tidenhub von über 3 m. Da schwappt alle sechs Stunden jede Menge Wasser hin und her und sorgt für einen Tidenstrom, der sich sehen lassen kann. Und genau zu dem Zeitpunkt, zu dem wir eigentlich raus wollen, weil wir raus müssen, läuft das Wasser maximal auf. Dazu passt natürlich auch das Wetter nur mäßig, und wenn wir abwarten, passt zwar die Tide jeden Tag etwas besser, aber leider passt dann das Wetter mit jedem Tag immer schlechter. Nun kann man das mit dem Wetter ja nicht wirklich eine Woche im Voraus abschätzen, außer man hat ein Wetterglück, auf das man sich felsenfest verlassen kann. Ein Glück, das bei uns leider nicht allzu sehr ausgeprägt ist. Aber an die Tide hätten wir schon denken können, denn so ein Kanal-Permit kauft man für 7 bzw. 14 Tage und das lässt sich dann schon rechnen, wenn man sich Mühe gibt 🤔.

„PINCOYA auf Warteposition“

„PINCOYA auf Warteposition“

Die Option, einfach ganz früh oder eben ganz spät, also jeweils zu Hochwasser auszuschleusen, kann man getrost vergessen, denn die Schleusen werden von 9h bis 17h bedient, wenn nicht gerade ein Zug über die Eisenbahnbrücke fahren möchte. Die erste Schleusung am Mittwoch ist um 9:00, letzte um 15:30 möglich. Das passt also auch nicht so richtig gut.


Aber warum gleich weg? Man kann ja auch in der Seaport oder in der Inverness Marina bleiben. Und genau an dieser Stelle drängt sich einem dann doch die Vermutung auf, dass das Preismanagement der Marinas schon irgendwie von ihrer exklusiven Stellung für Kanalfahrer in diesem Tidenrevier beflügelt wurde.

Die Seaport Marina nimmt zwar nur 10 £ pro Extratag, aber der Extratag Kanal, den man ja auch buchen muss, weil man ja in der Seaport Marina noch im Kanal ist, kostet für uns noch einmal 21,60 £. Zusammen mit Strom liegt man dann bei günstigen 36,60 £ pro Tag. Dieser Spaß geht allerdings nur 3 Tage, denn ab dem vierten Tag braucht man ein neues Permit. Und was das dann kostet, haben wir gar nicht mehr gefragt.

Abgesehen davon ist man ja in der Seaport Marina auch noch nicht aus der Schleusenabhängigkeit heraus, die würde sich erst in der Inverness Marina lösen, denn die ist tidenunabhängig anfahrbar. Doch diese Freiheit schlägt in der Inverness Marina inkl. Strom mal eben mit 47 £ pro Tag zu Buche.
Vorher nachdenken kann also durchaus helfen, Geld zu sparen. Und da nur schwer abzusehen ist, wann wir überhaupt den Sprung nach Norwegen machen können, brauchen wir dringend einen Ankerplatz oder eine preiswerte Marina. Eine nicht abzusehende Wartezeit in Inverness würde unser Budget sprengen.


So planen wir nun wie die Großen, wie wir wenigstens in den nächsten 3 Tagen hier wegkommen. Die Capitana klickt sich durch die Tidentabellen und die Wettervorhersagen und verkündet nach einer Weile: »So machen wir’s, ich habe einen Plan!«. Doch dieser Plan hat es noch gar nicht bis zu dem Schiffsjungen geschafft, da ruft sie schon wieder: »Mein Gott, was kommt da nur für ein Scheiß! Das geht ja alles gar nicht und es wird immer schlimmer!« Nun scheint die Capitana das Wettermodell gewechselt zu haben, denn ECMWF und GFS sind sich meist nicht wirklich einig, wie es denn ab dem dritten Tag weitergehen könnte. In diesem Fall würden wir tendenziell tatsächlich eher zu ECMWF neigen. Das, was GFS da zusammenrechnet, ist einfach zu schlecht.


Wenn man die Küste nach Osten herunterfährt, kommen noch zwei Marinas, die für uns passen könnten. Lossiemouth und Banff. Beide sind wirklich klein, aber für die PINCOYA könnte es gerade noch gehen. Anfahrbar sind beide aber nur um Hochwasser herum und die Einfahrten sind bei Nacht nur für Locals machbar. Das passt also auch nicht. Bei ruhigem Sommerwetter wäre Lossiemouth sicher mal einen Stop wert, aber so? Bei diesem Wetter und in diesem Herbst? Ankerplätze gibt es weiter im Osten gar nicht. Kurz hatten wir noch über Cromarty nachgedacht, aber Cromarty ist eher industriell und ankertechnisch für Freizeitsegler wohl auch eher eine Notnummer, wenn es mal unbedingt sein muss.


Insgesamt wäre das Wetter heute noch am besten, doch die Gezeiten passen gar nicht. Aber was sollen wir machen, danach wird das Wetter immer schlechter. Teilweise sogar mit starkem Ostwind. Wettertechnisch zählen wir wirklich nicht zu den Glückspilzen.

Aus dieser Not heraus beschließen wir dann spontan, doch noch gleich Mittwoch zu starten. We have to push the tide. Die Briten meinen damit, zunächst gegen die Tide anzufahren, um dann das gesamte Tidenfenster draußen auf seiner Seite zu haben. Wir fragen über Funk bei der Schleuse an, ob wir gegen 14:00 schleusen können. Ok, five to two sollen wir kommen. Wenn wir unten sind, kommt noch ein Zug und danach kann die Eisenbahnbrücke geöffnet werden. So bereiten wir schnell alles vor. Vor uns liegt eine Nachtfahrt. Lossiemouth und Banff sind keine Option, wir gehen durch bis Peterhead. Ab Fraserburgh ganz im Osten, dort wo wir nach Süden abbiegen müssen, werden wir zwar nach der Nacht den Tidenstrom wieder richtig gegenan haben, aber je schneller wir sind, desto besser können wir diese berüchtigte Ecke noch nehmen. Soweit unsere Theorie.


Seaport Marina, Inverness -> Peterhead Marina
Distanz: 98,0 sm Gesamtdistanz 2023: 7.918,5 sm

„Nun aber mal schnell, von der Seaport Marina, Inverness -> in die Peterhead Marina“

„Nun aber mal schnell, von der Seaport Marina, Inverness -> in die Peterhead Marina“

„Voraus die letzten beiden Schleusen.“

„Voraus die letzten beiden Schleusen.“

Um 13:50 geht’s los, das Schleusen klappt problemlos. Schon auf dem Weg zur Seeschleuse packen uns einige kräftige Böen. Die Einfahrt in die Seeschleuse ist nicht ganz so einfach und gelingt bei dem Seitenwind nur mit einem beherzten Schwung. Draußen können wir schon die Verwirbelungen des Tidenstroms sehen. Die Tide läuft zudem gegen den Wind und beide sind nicht eben schwach. Als sich die Schleusentore öffnen, merken wir sofort den Schwell. Es wird unruhig. Beherzt geht es raus, nun gibt es kein Zurück mehr.

„Das Clachnaharry Works Lock ist unsere vorletzte Schleuse.“

„Das Clachnaharry Works Lock ist unsere vorletzte Schleuse.“

„Mit dem Clachnaharry Sealock geht's raus.“

„Mit dem Clachnaharry Sealock geht's raus.“

„Hier hat der Caledonian Canal ein Ende für uns.“

„Hier hat der Caledonian Canal ein Ende für uns.“

Im Beauly Firth sind die Verwirbelungen sehr stark und wirbeln im wahrsten Sinne des Wortes herum. Bei etwas über 2.000 Motorumdrehungen fahren wir abwechselnd zwischen 2,9 und fast 7 kn. Je nachdem, wie uns die eine oder andere Verwirbelung erwischt. Die Capitana steuert, der Schiffsjunge verstaut die Fender und Leinen. Alles muss nun sehr schnell seefest und nachtfahrttauglich gemacht werden.

„Draußen werden wir wild empfangen.“

„Draußen werden wir wild empfangen.“

„Es strömt und es ...“

„Es strömt und es …“

„...wirbelt!“

„…wirbelt!“


Hinter der Kessock Bridge setzen wir Segel. Wir setzen das Groß voll, der Wind kommt fast genau von achtern. Die Genua würde bei den zu erwartenden Wellen nur rumschlappen, das Groß steht da problemloser und vor allem ruhiger, auch wenn es weniger Segelfläche hat. Doch bei 15 bis 20 kn von achtern ist das Groß eigentlich schon vollkommen ausreichend.

„Die Kessock Bridge“

„Die Kessock Bridge“

„Und dann kommt gleich mal wieder der Regen von hinten.“

„Und dann kommt gleich mal wieder der Regen von hinten.“

Im Moray Firth, östlich der Brücke, wird es dann auch schon mal wesentlich ruhiger. Wir haben immer noch einen kräftigen Strom gegenan, aber der Moray Firth ist weitläufiger. Den Motor lassen wir als Unterstützung noch mal mitlaufen.

„Das Chanonry Lighthouse gegenüber von Fort George.“

„Das Chanonry Lighthouse gegenüber von Fort George.“

Kurz vor dem Ausgang des Moray Firth zur Nordsee strömt es dann plötzlich in unsere Richtung. Uiih, die Engstelle am Fort George nehmen wir mit 7,2 kn, wer hätte das gedacht? Das nehmen wir gerne! Zur Sicherheit, falls es doch noch eine Überraschung gibt, bleibt der Motor im Leerlauf noch 20 Minuten auf Standby.

„Noch etwas schottisches Grün am Moray Firth“

„Noch etwas schottisches Grün am Moray Firth“

Inzwischen ist fast Hochwasser, von Inverness kommen zwei Frachter auf. Und aus dem Cromarty Firth wird eine Bohrinsel in Richtung Nordsee geschleppt. Insgesamt 4 Schlepper sind um die Bohrinsel herum am Gange. Alle 30 Minuten senden sie »Securité« Meldungen. 500 m cable, keep a wide berth, position, speed and course. Das Gespann fährt unglaubliche 6 kn. Solch einen Speed hätten wir für so eine Aktion nie vermutet. Sie haben dieselbe Richtung wie wir, so werden wir wohl parallel gemeinsam durch die Nacht fahren.

„Die Bohrinsel, unser Begleiter“

„Die Bohrinsel, unser Begleiter“

„Es wird Nacht...“

„Es wird Nacht…“


Der Wind bleibt uns erhalten. Irgendwann soll er auf Süd drehen und abnehmen, aber davon ist noch nichts zu merken. In der Nacht veralbern uns immer wieder einige Winddreher, doch kaum haben wir das Groß geschiftet, dreht der Wind auch schon wieder zurück auf West. Die Wellen lassen uns unangenehm geigen, aber es fährt gut, das ist die Hauptsache. Fällt der Wind mal nicht genau von achtern ein, nehmen wir etwas Genua hinzu, aber auch diese Versuche scheitern immer wieder an den Launen des Windes.

Der Bohrinselkonvoi begleitet uns noch bis kurz nach Mitternacht. Dann »halten sie an«, sofern man das so nennen kann. Einfach so geht das nicht, es ist eher ein Prozess, der sich über eine Stunde hinzieht und von viel Funkverkehr begleitet wird. Für uns geht die Reise alleine weiter. Einen echten Wachplan für die Nacht haben wir nicht aufgesetzt, so etwas funktioniert bei uns eh nicht in der ersten Nacht. Wir schlafen oder dösen immer mal abwechselnd etwas. So passt das schon recht gut. Es ist ja nun auch schon unsere 61ste Nachtfahrt dieses Jahr, da ist man nicht mehr ganz so aufgeregt.

Unsere Route ist einfach. Immer geradeaus. An Steuerbord die Lichter von Land und ab und an mal ein Leuchtfeuer. Auch das passt gut. Irgendwelche Spezialitäten für die Navigation gibt es nicht. Es ist eine einfache Nachtfahrtroutine. Die Nacht ist allerdings sternenklar und entsprechend kalt. Ab und zu gehen wir raus und gucken mal, ob man draußen mehr sieht als von drinnen. Dann schnell wieder rein, dort läuft die Heizung.

„Bei Fraserburgh geht die Sonne wieder auf.“

„Bei Fraserburgh geht die Sonne wieder auf.“

Kurz hinter Fraserburgh beginnt es merklich zu dämmern. Ganz langsam schaut die Sonne wieder über den Horizont. Nun müssen wir peu á peu nach Süden abbiegen. Insgesamt liegen wir gut in der Zeit, etwa 45 Minuten vor unserer Planung. Das liegt im Wesentlichen daran, dass der Wind erst jetzt beginnt, auf Süd zu drehen und schwächer zu werden. Er hat besser durchgehalten als vorhergesagt.

„Kinnaird Head“

„Kinnaird Head“

Ab Kinnaird Head haben wir dann den Strom und auch den Wind ziemlich genau gegenan. Bis dahin hatte sich der Strom noch etwas zurückgehalten, doch am Head kentert er sehr schnell, fast von jetzt auf gleich, und bremst uns mit bis zu zwei Knoten. So geht unter Segeln gar nichts mehr, also brummen wir mit Motor gegenan. Langsam aber sicher geht’s voran, aber mehr als 3,5 kn sind nicht mehr drin.

„Peterhead voraus, aber wir kommen nur langsam näher“

„Peterhead voraus, aber wir kommen nur langsam näher“

„Die Einfahrt von Peterhead.“

„Die Einfahrt von Peterhead.“

Doch wir sind früh genug, erst ab Mittag soll es kräftig aus Süd auffrischen. Die Nacht über sind wir besser durchgekommen als gedacht, so sind die Kompromisse am Anfang und am Ende zu verschmerzen. Etwa 1,5 Seemeilen vor Peterhead rufen wir Peterhead Harbour an. In Peterhead muss man sich zum Aus- oder Einlaufen anmelden und bekommt dann ein ok oder man muss eben warten. Wir dürfen gleich rein, der Dialekt des schottischen Officers ist schon recht speziell. Wir werden ihn später noch treffen, aber das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

„Hinten in der Ecke die Marina.“

„Hinten in der Ecke die Marina.“

„Die Marina Einfahrt.“

„Die Marina Einfahrt.“

Wir sind froh, es so gut geschafft zu haben, zumal das nächste Tief schon deutlich näher gerückt ist. Vor 17 Jahren sind Astrid und ich schon einmal hier eingelaufen. Damals war das Wetter noch viel schlechter und wir kamen von Süden. So schließt sich nun der Kreis. Vor 17 Jahren sind wir von Peterhead nach Stavanger gesegelt. Es war unser erster Törn über zwei Nächte. Und nun geht es irgendwann in der nächsten Woche wieder von Peterhead nach Norwegen. Mal sehen, wann und wie das klappt. Damals war es Anfang Juli, nun haben wir schon Mitte Oktober. Da wird sie Sache kniffliger.

„Es ist gut, nun hier zu sein.“

„Es ist gut, nun hier zu sein.“

„Da sind wir nun... mal sehen wie lange.“

„Da sind wir nun… mal sehen wie lange.“


05.10. Peterhead Marina
57° 29′ 46,6″ N, 001° 47′ 28,0″ W