Mastkletterei offshore aus Erfahrung

Stand 2023

Nachstehend eine Handvoll Tipps, um als Fahrtensegler sicher in den Mast und möglichst auch wieder heile herunter zu kommen.

Gleich von vorn herein der Hinweis, wir schreiben hier NICHT davon, jemanden mal im Hafen in den Mast zu ziehen, damit man auch einige Photos von seinem Schiff von oben hat.

Hier geht es darum, offshore in den Mast zu gehen, wenn das Schiff in 3 m Wellen rollt und der Mast im Top um 5 oder mehr Metern hin und her schwingt. Das alles ist absolut schlecht, aber manchmal nicht zu vermeiden. So ist es uns mit dem Bruch eines Unterwants auf der Passage von Cabo Verde in die Karibik ergangen.

Und noch eins vorweg:

Dies ist keine Anleitung, sondern hier steht, wie wir es machen bzw. gemacht haben.
Jeder ist selbst verantwortlich und muss seine Situation selbst beurteilen.

Nachstehend nun einfach eine Aufzählung, die in Summe dazu führen sollte, dass so eine Aktion halbwegs glimpflich abgehen kann.

Alles Nachstehende ist unsere subjektive Meinung ohne jegliche Gewähr!

  1. Wer geht in den Mast?
    Derjenige, der in den Mast geht, muss kräftig und fit sein. Er muss sein ganzes Gewicht während der Schwinger durch die rollende Yacht am Mast halten können. Da wirken ziemlich hohe Kräfte. Ohne dass man auch nur etwas Sport in seinem Leben gemacht hat, geht das nicht. Verliert man den Halt, endet diese Aktion mit schwersten Verletzungen oder tödlich.
    1. Wer ist unten?
      Derjenige, der unten an den Sicherungstauen ist, ist die Lebensversicherung für den Mastkletterer. Eine Lebensversicherung, auf die er sich blind verlassen muss. Der Sicherer MUSS alles Notwendige blind und im Schlaf bedienen können. Nicht die kleinste Unsicherheit darf er haben. Ein Fehler kann für den Mastkletterer tödlich enden. Jeder, der nur mitsegelt, aber das Schiff nicht auch Einhand führen kann, ist ungeeignet.
      1. Vorbereitung:
        Alles, was oben und unten (!) passieren soll, muss haarklein besprochen werden. Es dürfen keine Unsicherheiten bleiben.
        Und!!! Man sollte die Mastkletterei schon einige Male unter ruhigen Bedingungen gemacht haben. Offshore ist brutal. Wir haben nie gedacht, dass wir so etwas erleben müssen. Die psychische und speziell für den Mastkletterer auch physische Belastung ist maximal. Das sollte man nicht unterschätzen.

      2. An dieser Stelle ein Break. Wenn man wegen der ersten drei Punkte irgendwelche Zweifel hat, sollte man eine solche Aktion offshore einfach sein lassen. Es wird nur schlimmer!


        1. Maststufen:
          Ohne Maststufen geht es nicht! Natürlich könnte der Sicherer den Mastkletterer auch hochwinschen, aber erstens ist diejenige, die winschen muss, in der Regel die Frau, und zweitens braucht man Maststufen auch unabdingbar für den Halt von Füßen UND Händen. Eine Elektrowinsch würde den ersten Punkt relativieren, aber eben auch noch nicht für Haltepunkte sorgen.
          Die Maststufen MÜSSEN geschlossene Trittstufen mit flachen Tritten sein. Diese Klappdinger gehen gar nicht. Erstens bieten sie keine Haltepunkte für die Hände beim Klettern, weil sie erst ausgeklappt werden müssen, zweitens ist es nahezu unmöglich, sie unter Offshore-Bedingungen schnell genug auszuklappen und drittens, was am allerschlimmsten ist, der Fuß kann seitlich oder nach oben wegrutschen. Wegrutschen und Halt verlieren ist das Schlimmste, was passieren kann und es endet zwangsläufig in einer Katastrophe.
          Die Maststufen müssen in einem »moderaten« und auf keinen Fall in einem »sportlichen« Abstand angebracht sein. Lieber eine Maststufe mehr vorsehen.

          p.s. Maststufen müssen nicht teuer sein. Bei einem Metallbauer kann man sich aus einem Aluprofil prima Maststufen abkanten lassen. Die Maststufen nicht zu groß machen, einfach für den eigenen Turnschuh passend anfertigen lassen. Der Fuß muss sicher in der Maststufe stehen und man muss einfach rein und rauskommen.
          p.s. Ja, hinter den Maststufen kann sich eines der Fallen verhaken, das ist uns aber bisher in mehr als 10 Jahren nur einige wenige Male passiert. Und wenn, dann schwingt man es halt wieder zurück.

          1. Bootsmannsstuhl oder Sicherungsgurt?
            Die bekannten Bootsmannsstühle sind mehr oder weniger bequeme Nachfolger der einfachen Holzsitzbretter, die man früher hatte, wenn jemand im Mast arbeiten musste. In einem klassischen Bootsmannstuhl hängt man wie an einem großen Pendel, während man weitgehend passiv hochgezogen wird. Man kann sich nur um den Mast oder an einem Want festklammern, zudem besteht die Gefahr herauszurutschen. Einfacher, sicherer und wahrscheinlich sogar auch preiswerter ist ein Sicherungs- und Sitzgurt für Höhenarbeiter. So ein Sicherungs-, Sitz- und Klettergurt sollte in jedem Fall ohnmachtssicher sein. D.h. er hat nicht nur Beinschlaufen und einen Hüftgurt, sondern auch Schultergurte. Wenn man auf eine Zulassung der Berufsgenossenschaft achtet, ist man absolut auf der sicheren Seite. Alle Gurte sind gepolstert und wenn man sich alles richtig eingestellt hat, kann man darin auch stundenlang schmerzfrei »abhängen«. Und mit so einem Gurt kann man auch prima klettern.
            1. Sicherungstau und »Niederholer«
              Zunächst zum Sicherungstau. Da wir hinten am Mast hochklettern, ist das Großfall unser Sicherungstau. Es geht auch mit dem Spifall vorn, aber dort sitzen die Lampen, der Radarreflektor und das Kutterstag. Manchmal ist das trotzdem nötig, aber der Standard ist eben hinten.
              Eine Umlenkung des Großfalls ins Cockpit ist sehr hilfreich, der Sicherer steht außerhalb des Gefahrenbereichs und kann auch viel besser nach oben sehen, während er den Mastkletterer sichert. Ist das Großfall nicht ins Cockpit umgelenkt, sollte man sich eine temporäre Umlenkung bauen, so wie unten beim Niederholer beschrieben.
              Das Sicherungstau schlagen wir immer HINTEN am Klettergurt an (Ausnahme siehe Nachtrag unten). Dann hat es der Mastkletterer nicht vor der Nase und muss sich nicht auch noch damit herumschlagen.

              Offshore nutzen wir in KEINEM Fall eine eigene Sicherung des Mastkletterers oben im Mast. Wenn der Mastkletterer bei dem Schwingen, Rollen und Geschaukel doch einen gegen die Birne kriegt oder sich so verletzt, dass er seine eigene Sicherung nicht mehr lösen kann, dann war’s das. Der Sicherer bekommt ihn nicht mehr runter.
              Das Sicherungstau ist auch ein absolut wichtiger Bestandteil, um den Halt zu behalten. Muss sich der Mastkletterer mit aller Kraft festklammern, was alle paar Sekunden der Fall ist, muss der Sicherer sofort alle Lose aus dem Sicherungstau ziehen, so dass sich der Mastkletterer hängen lassen kann und sich nur noch auf das Festklammern konzentrieren muss. Ggf. sogar schnell etwas anwinschen. Dies muss absolut eingespielt und wie selbstverständlich funktionieren.

              Das Großfall läuft IMMER durch einen GESCHLOSSENEN Fallenstopper und über eine der Winschen im Cockpit. NIEMALS nur über die Winsch! Hat man so etwas nicht, rüstet man es bei der nächsten Gelegenheit nach. Der Fallenstopper wird nur geöffnet, wenn der Mastkletterer wieder runterkommt oder er runtergelassen werden muss. Dann wird das Sicherungstau über die Winsch mit mehreren Törns geführt, so dass man noch gut fieren kann, aber den Mastkletterer auch in jeder Situation problemlos auffangen kann. Der Fallenstopper muss jederzeit wieder schnell geschlossen werden können. Das ALLERWICHTIGSTE ist, dass der Mastkletterer NIE seinen Halt verliert. Verliert er den, rutscht ab oder kann sich nicht festhalten, schwingt er an einem meist meterlangen Großfallpendel vollkommen unkontrolliert hin und her. Da das Schiff ja nicht nur rollt, sondern sich auch auf und ab bewegt und im Bug steigt und fällt, kann es den Kletterer auch ohne weiteres vor den Mast schwingen. Ein haltloses, freies Schwingen ist die absolut gefährlichste Situation, die um wirklich jeden Preis vermieden werden muss. Denn egal wie, der Mastkletterer wird dann irgendwo stumpf, vollkommen unkontrolliert und vor allem mit voller Wucht in der Takelage einschlagen. Dass das ohne schwerste Verletzungen ab geht, ist unwahrscheinlich. Wenn er dabei mit dem Kopf irgendwo anschlägt, war’s das.

              Und genau hier kommt der Niederholer ins Spiel! Der Niederholer hat grundsätzlich zwei Aufgaben. In erster Linie begrenzt der Niederholer den Radius der Schwingungen und Pendelbewegungen eines hilflosen und vielleicht bewusstlosen Mastkletterers. In zweiter Linie dient er dazu, einen hilflosen und vielleicht bewusstlosen Mastkletterer vom Mast wegzuziehen, um ihn dann herunterzulassen.
              Der Niederholer wird auch hinten am Klettergurt des Kletterers angeschlagen (Ausnahme siehe Nachtrag unten) und z.B. über einen Snatchblock an der luvseitigen Mittelklampe ins Cockpit umgelenkt. Als Niederholer nehmen wir einfach eine der Spi-Schoten. Es ist wichtig, dass der Anschlagpunkt (z.B. Mittelklampe) deutlich achterlich vom Mast und in Luv liegt. Im Cockpit wird der Niederholer auf eine ZWEITE Winsch gelegt. Nie die Großfallwinsch nehmen, so dass man umlegen müsste, denn im Fall der Fälle braucht man beide Winschen gleichzeitig. Und ganz wichtig: Die Luv-seitigen Lazy Jacks müssen weggebunden werden!!! Sonst sind die im Fall der Fälle im Weg.
              Der Niederholer wird im Normalfall NIE straff gezogen. Dies würde den Mastkletterer vom Mast wegziehen, denn der Niederholer ist ja bewusst etwas achterlich von Mast angeschlagen. Solange der Mastkletterer aktiv ist und keine Probleme hat, wird der Niederholer »handwarm lose« gefahren, ohne dass er irgendwie herumschlabbert.

              Nun zum Fall der Fälle. Verliert der Mastkletterer den Halt, begrenzt der Niederholer den Pendelradius des Mastkletterers schon mal dramatisch. Auch schon wenn der Niederholer nur »handwarm lose« angeschlagen ist! Hat es den Mastkletterer erwischt, ist er bewusstlos, schwer verletzt oder kann aus irgendwelchen anderen Gründen nicht mehr selbst klettern, kann man ihn mit dem Niederholer vom Mast wegziehen und dann durch gezieltes Fieren des Großfalls und Holen des Niederholers zurück an Deck bekommen. In jedem Fall schleudert der Kletterer dann immer noch relativ unkontrolliert und eben hilflos hin und her. Auch am Baum muss der hilflose Mastkletterer noch vorbei, aber das ist alle Male besser, als im Mast nach und nach seinen Löffel abzugeben.

              1. Sonstiges
                • Man braucht einen Beutel für das Werkzeug, in den man leicht greifen kann, aber in dem das Werkzeug auch sicher verwahrt bleibt.
                • Jedes Werkzeug sollte mit einem Bändchen gesichert werden. Auch wenn man Werkzeug doppelt hat. Es ist großer Mist, wenn man wieder runter muss, um Ersatz zu holen. Die Hafentechnik, mal schnell eine Strippe herunterlassen und neues Material hochziehen, kann man getrost vergessen. Im Takt von wenigen Sekunden dreht sich immer alles nur noch ums Festklammern und darum, unter keinen Umständen den Halt zu verlieren. Da geht so etwas nicht mehr.
                • Niemand steht unten am Mast, wenn oben gearbeitet wird. Für eine Kombizange aus 5 m Höhe ist es kein Problem, eine Schädeldecke zu knacken.
                • Und was ist mit einem Helm für den Mastkletterer? Ja, unserer Meinung nach unbedingt. Wir hatten aber keinen. Und in der Karibik wird es sicher schwer, einen zu bekommen, aber in den USA werden wir uns sofort einen Kletterhelm besorgen.

                Nachtrag von der vierten Mastkletteraktion:
                Diese Mastkletteraktion musste stattfinden, als das Unterwant schon vollständig gebrochen war und schlapp herunterhing. Wir können nicht einschätzen, was ein so geschwächter Mast am Ende noch alles so aushält und wann er fällt. Mit dieser Unsicherheit in den Mast zu steigen, ist recht unangenehm. Der Mastkletterer als Topgewicht macht es dem Mast ja auch nicht einfacher, besonders wenn man schon von unten sehen kann, wie er in den Wellen arbeitet.

                Nun – dennoch ist es manchmal notwendig, doch noch einmal hochzugehen. Doch was passiert, wenn der Mast tatsächlich fällt, wenn man oben ist? Normalerweise schlagen wir ja die Sicherungsleine und auch den Niederholer hinten am Klettergurt an. Doch wenn man tatsächlich mit dem Mast fällt, dann kann man sich daraus nicht mehr selbst befreien. Deswegen befestigen wir in diesem Ausnahmefall die Sicherungsleine und den Niederholer vorn am Klettergurt und zwar mit einem Patentschäkel. Und der Patentschäkel bekommt eine Reißleine, die man auch ziehen kann, wenn man in Panik kommt. Die Gefahr, diese Reißleine aus Versehen zu ziehen, keine Sicherung mehr zu haben und ggf. runterzufallen, ist definitiv gegeben und nicht gerade gering. Doch für mich war es beim vierten Mal besser, auf der einen Seite höllisch aufpassen zu müssen, aber dafür auf der anderen Seite wenigstens noch eine geringe Chance zu haben, sollte der Mast wirklich in dem Moment brechen und mit mir ins Wasser fallen.


                Dies alles resultiert aus unserer Erfahrung. Ich war insgesamt viermal offshore im Mast und Astrid hat mich unten gesichert. Auch wenn man alles richtig macht und nichts Schlimmes passiert, kommt man in jedem Fall »blaugeklopft« und nur mit einigen Blessuren wieder runter. Aber lebendig und eben hoffentlich auch erfolgreich. Die psychische Belastung sollte man neben der körperlichen Belastung nicht unterschätzen. Es ist kein gutes Gefühl, im Masttop immer wieder mehrere Meter außenbords zu hängen, sich nur mit aller Kraft festklammern zu können, um die wenigen Sekunden abzupassen, in denen man das tun kann, wozu man hochgeklettert ist. Wenn man unter solchen Bedingungen oben ist, dann funktioniert auch der Kopf nur noch bedingt. Man sollte sich vorher im Kopf alles klar zurechtgelegt haben, was wie in welcher Abfolge oben gemacht werden muss. Einmal Hinsetzen und es in Ruhe laut durchgehen, hilft. So hört es auch der Sicherer und kann ggf. bei Fehlern einschreiten.

                Glück auf! Aber das waren wohl doch eher die Bergleute, oder?